«Ladies und Gentlemen, vielen Dank für Ihre Geduld. Das elektronische Linienrichter-System war bedauerlicherweise nicht in der Lage den letzten Punkt festzustellen. Aus diesem Grund wird das Game wiederholt», spricht der Unparteiische in sein Mikrofon. Es ist ihm sichtlich peinlich. Empörtes Raunen in den Rängen. Alle haben es gesehen. Die Spielerinnen, der Schiedsrichter, das Publikum im Stadion und daheim vor den Fernsehgeräten. Auch die Zeitlupenaufnahme der Kamera zeigt deutlich: Der Ball war draussen. So geschehen neulich in Wimbledon. Alle haben es gesehen. Alle, nur das Falkenauge nicht. Die Technologie mit dem vielversprechenden Namen «Hawk-Eye» (Falkenauge) wurde in Wimbledon für sehr, sehr viel Geld installiert, um menschliche Fehlentscheide zu eliminieren. Sie ersetzt jetzt die Linienrichterinnen und Linienrichter beim Tennis-Turnier. Dummerweise hat das Gerät dann im Spiel zwischen Pawljutschenkowa und Kartal nicht funktioniert. Kartal schlägt den Ball hinter die Grundlinie. Punkt für Pawljutschenkowa. Aber das Falkenauge reagiert nicht. Kein Punkt für Pawljutschenkowa. Pech. Es handle sich um einen menschlichen Fehler, lässt die Turnier-Organisation später verlauten, jemand habe das System irrtümlich für ein Spiel deaktiviert. Na dann... Welch beruhigende Erkenntnis für Entwickler und Investoren. Aber dass der Ball draussen war, das konnten alle sehen. Trotzdem richtete sich die Fortsetzung des Spiels nach dem Urteil (oder eben Nicht-Urteil) des Falkenauges. Auch wenn das Gerät offensichtlich falschliegt, oder, wie im vorliegenden Fall, einfach seinen Job nicht macht, wird sich untergeordnet. Gehorsam wider besseres Wissen. Das gibt mir zu denken. Umso mehr, da es sich um Gehorsam gegenüber einer Maschine handelt. Ich würde ja vorschlagen, das Gerät mit einem gezielten und kraftvollen Tritt fachgerecht zu demontieren und anschliessend wieder Linienrichterinnen und Linienrichter einzustellen. Oder aber konsequent bleiben und auch gleich Schiri, Spielerinnen und Publikum durch Automaten zu ersetzen. Item. Es geht um Tennis. Das ist nur ein Spiel. Die können in Wimbledon meinetwegen tun und lassen, was sie wollen. Ich interessiere mich nicht für diesen Sport. Ich bin nur per Zufall auf die Zeitungsmeldung über das blinde Falkenauge gestossen. Mich beruhigt die Gewissheit, dass dort, wo die wirklich wichtige Entscheidungen getroffen werden, nach wie vor auf gesunden Menschenverstand und ungetrübtes Urteilsvermögen vertraut wird, statt auf Maschinen. Das ist doch so... oder?