Der Herr ist im Himmel

«Grüessech Herr Siegenthaler!»

«Der Herr ist im Himmel!»

«Sind Sie da so sicher?»

«Ich meine, ich wollte eigentlich nur sagen, wir würden doch
besser Duzis machen.»

«Ja, von mir aus gerne, ich bin der Sämi.»

«Und ich der Chrigu. Freut mich. Aber warum sollte der Herr nicht im Himmel sein?
Ist er weggezogen?»

«Es ist einfach ein altmodisches Bild. Früher dachte man, oben ist Himmel, unten ist Hölle und

dazwischen sind wir.»

«Was ja irgendwie auch nicht ganz falsch ist, oder?»

«Im übertragenen Sinn schon,
ja. Aber da die Erde heute eine Kugel ist, ist der Himmel eigentlich auch unten und auf allen Seiten.»

«Stimmt eigentlich?...»

«Und keines der vielen Tele­skope, die mittlerweile den
Himmel absuchen, hat da
einen Herrn gefunden?...»

«Das stimmt auch. Aber weisst du, wenn ich abends so in den Himmel hinaufschaue und mir

vorstelle, dass da ein Herrgott
zu mir herabschaut und wacht, dass nichts Schlimmes passiert,

dann tut mir das gut. Darum
ist er halt für mich immer noch im Himmel.»

«Auch wenn du eigentlich weisst, dass es nicht stimmt?»

«Was heisst da, es stimmt oder stimmt nicht? Ist nicht wichtiger, was ich glaube?»

«Da hast du Recht. Du darfst
dir ihn einfach nicht zu plastisch vorstellen, denn so ist sie garantiert nicht.»

«Sie? Du meinst, Gott ist eine Frau?»

«Könnte doch sein, genauso wie er ein Herr sein kann.»

«Das habe ich mir, ehrlich gesagt, noch gar nie so überlegt. Für mich ist es einfach der Herr im Himmel. Seit der Sonntagschule.»

«Es gibt drum Leute, die haben Mühe mit all den männlichen Bildern.»

«Dann sollen sie ihn halt anders nennen, da habe ich kein Problem damit. Aber für mein Gefühl ist er der Vater im Himmel, und so beten wir ja auch. Und auch wenn er mir nicht jeden Wunsch erfüllt, tut es doch gut, so einen zu haben.»

«Da hast du auch wieder Recht, Chrigu!»

25.04.2024 :: Samuel Burger