Ein guter Mensch

Liebe Leserin, lieber Leser, sind Sie ein Gutmensch? Möchten Sie einer sein? Oder gefällt Ihnen das Wort nicht? Mir geht es so: Ich mag das Wort nicht. Es macht sich über den Menschen lustig, der damit gemeint ist. Es ist abwertend. Menschen, die Gutes tun, werden immer wieder als naiv, als gutgläubig belächelt. Gutmenschen tun Gutes im Glauben, helfen zu können. Sie merken nicht, dass sie dabei nur ausgenutzt werden. Von Schmarotzern, die auf Kosten anderer leben und in den Gutmenschen leichte Opfer finden... Stopp! Will ich wirklich so denken? Denn Hand aufs Herz: es gibt tatsächlich Menschen, die den guten Willen anderer auf perfide Weise ausnützen. Wer einmal so hereingefallen ist, hat zwei Möglichkeiten: «Das passiert mir kein zweites Mal! Von jetzt an bleibt meine Tür geschlossen, mein Portemonnaie auch, und die anderen sollen selber schauen!» Oder: «Hm. Das soll mir nicht nochmals passieren. Ich bin jetzt wachsamer und sehe und höre genauer hin. Im Grundsatz aber gilt: lieber einmal hereinfallen als zweimal nicht helfen, wo es nötig und richtig gewesen wäre!» Wie entscheiden Sie? «Gutmensch» ist ein zynischer Begriff für diejenigen, die den zweiten Weg wählen. Wer den ersten Weg wählt, benutzt dieses Wort, um sich abzugrenzen und um zu rechtfer­tigen, dass er oder sie eben nicht mehr gut sein will. Was nun? Im Theaterstück «Der gute Mensch von Sezuan» kommt Bertold Brecht zum Schluss, dass es nicht möglich ist, gut zu sein und doch zu leben. Shen Te, die «gute» Hauptfigur, setzt sich deshalb immer wieder die Maske eines harten, unnachgiebigen Menschen auf, um materiell überleben zu können und ihr Geschäft zu retten. Sollen wir uns also vom Gutmenschentum abkehren? Aber als Christen haben wir genau diesen Auftrag: unsere Nächsten zu lieben wie uns selbst. Wenn wir alle diesem Grundsatz nacheifern, ist - hoffentlich! - «Gutmensch» schon bald kein Schimpfwort mehr.

30.10.2025 :: Kathrin van Zwieten