Advents- und Weihnachtsgeschichten: Es ist Heiligabend. Familie Grünig sitzt gemütlich vor dem Weihnachtsbaum. Die Stimmung ist heiter, feierlich und wohltuend entspannt.
Es ist Heiligabend. Familie Grünig sitzt gemütlich vor dem Weihnachtsbaum. Die Stimmung ist heiter, feierlich und wohltuend entspannt. Nach einem arbeitsreichen Dezember sind die Eltern Leo und Valérie dankbar für diese harmonische Atempause. Sogar der 10-jährige Lars und seine zwei Jahre ältere Schwester Marlies geniessen in diesem Moment gedankenversunken den Anblick des strahlenden Tannenbaumes. Dieser ist mit roten und silbrigen Glaskugeln geschmückt. Die ebenfalls silbrige Spitze berührt fast die Zimmerdecke. Ein wenig unterhalb der Spitze verkündet ein Engel mit einem goldenen Spruchband «Friede auf Erden!».
«Wenn sich dieser ‹Friede auf Erden› nur endlich durchsetzen könnte», sagt auf einmal Mutter Valérie. Niemand erwidert etwas darauf, doch nickt jedes still vor sich hin. Ja, Friede auf Erden, das wäre schön. Auch die Katze, welche es sich unter dem Tannenbaum gemütlich gemacht hat, räkelt sich behaglich und beginnt zu schnurren, so als möchte sie sagen: «Ich weiss nicht, wie es euch geht – ich für meinen Teil habe Frieden auf Erden.»
Still leuchten die Kerzen vor sich hin. Durch die aufsteigende Wärme beginnt der Engel sich langsam im Kreis zu drehen und verkündigt auf alle Seiten hin seine Friedens-botschaft.
Keiner von Familie Grünig hätte später sagen können, wie lange sie so friedlich und still vor dem Baum gesessen haben. Plötzlich geht ein Ruck durch die Katze. Ihr Körper gleicht einem gespannten Pfeilbogen. Die Haare stehen ihr zu Berge. Sie hält die Ohren gespitzt und fixiert mit ihren Augen etwas, das der Familie offenbar verborgen ist. Bevor jemand reagieren kann, springt sie mit einem gewaltigen Satz auf den Weihnachtsbaum zu. Erst rutscht sie unter einem Ast hindurch, dann macht sie rechtsumkehrt und jagt in die Gegenrichtung ohne Rücksicht auf Verluste. Schon fallen die ersten Kugeln zu Boden. Mit einem letzten hellen Klingen zerbrechen sie in hundert Einzelteile. Die Kerzen schwanken bedenklich, während die Katze mit ihrem Schwanz die Silberfäden einsammelt. Das wird zwei Vögelchen aus Glas zu viel. Ungeübt im Fliegen landen sie hart auf dem Boden. Das eine verliert einen Flügel, das andere einen Teil seines Bauches. «Was ist bloss in die dumme Katze gefahren?», ruft in diesem Moment Vater Leo, der als erster wieder Worte findet. Alle anderen sitzen mit offenem Mund auf ihren Stühlen und harren der Dinge, die da kommen sollen. Und sie kommen! Erhobenen Hauptes spaziert die Katze zwischen den ästen hindurch auf die Anwesenden zu. Im Maul trägt sie eine Spitzmaus, welche sich mit ihrem Hinterteil noch leicht bewegt. Stolz stellt sich die Katze mit ihrer Beute vor die Familie hin, als wollte sie sagen: «Hab’ ich das nicht gut gemacht? Jetzt dürft ihr mich loben.» Statt eines Lobes gellt ein mörderischer Schrei durch die weihnächtliche Stube. Marlies springt auf einen Stuhl und bringt ihre Angst vor Mäusen lautstark zum Ausdruck. Lars nimmt das Ganze viel gelassener. Zur Katze gewandt sagt er nur: «Komm, wir gehen zusammen nach draussen.»
Nach einer gefühlten Ewigkeit beruhigt sich die Situation langsam wieder. Nur die Scherben und das Durcheinander am Boden erinnern an den Kampf, welcher in der friedlichen Stube getobt und sie in ein Schlachtfeld verwandelt hat. Unbeirrt vom Ganzen scheint der Engel an der Baumspitze zu sein. Sein Spruchband verkündet noch immer «Friede auf Erden!» Als sich schliesslich alle wieder einigermassen beruhigt haben, fragt Lars: «Wie kann man eigentlich Frieden auf Erden und Weihnachten unter einen Hut bringen?» Marlies, immer noch bleich, doppelt nach: «Für mich ist die Weihnachtsgeschichte nicht mehr aktuell. Auf der ganzen Welt gibt es Krieg und Zerstörung und wir singen: ‹Nun soll es werden, Friede auf Erden›. Das ist zu krass. Das kann doch nicht sein.»
Vater Grünig, gezeichnet von den ganzen Turbulenzen, weiss nicht auf Anhieb, was er antworten soll. Er und seine Frau hatten immer versucht, ihren Kindern die biblischen Geschichten farbig und lebendig zu erzählen. Sie ermutigen ihren Nachwuchs, die Sonntagschule und Jugendgruppe zu besuchen und beten gemeinsam vor dem Essen. Früher war es selbstverständlich, am Abend im Bett mit den Kindern ein Nachtgebet zu singen oder zu sprechen. Jetzt aber, nach diesen Ereignissen, fühlt Vater Grünig das Bedürfnis, Gott in Schutz zu nehmen. Schliesslich macht dieser ja bekanntlich keine Fehler. Doch wie nimmt man Gott in Schutz? Kann man das überhaupt?
Unterdessen ist Mutter aufgestanden. Sie hat ihre Familienbibel geholt und scheint etwas Bestimmtes zu suchen. Als sie es gefunden hat, zeigt sie mit dem Finger auf einen Vers und liest laut vor: «Da wird der Wolf zu Gast sein bei dem Lamme und der Panther bei dem Böcklein lagern. Kalb und Jungleu weiden beieinander und ein kleiner Knabe leitet sie. Kuh und Bärin werden sich befreunden…» – «Und die Katze wird dem Mäuschen einen Kuss aufs Näschen drücken», unterbricht Marlies mit einem ironischen Blick. Die ganze Familie lacht. «So weit sind wir heute noch nicht», sagt daraufhin die Mutter. «Aber die Bibel spricht davon, dass eine Zeit kommt, wo Friede auf Erden sein wird. Sogar unter den Tieren.»
«Und warum verkündet der Engel in der Weihnachtsgeschichte diesen Frieden?», will Lars wissen. «Dieser Friede», meint die Mutter, «hat mit Jesus zu tun. Im Buch des Propheten Jesaja, aus welchem ich vorhin vorgelesen habe, heisst es, er sei der Friedefürst. Das bedeutet: Wo er regiert, ist Friede.» «Regiert er denn überhaupt schon irgendwo?», fragt Marlies mit einem hörbaren Zweifel in der Stimme. «Solange die Katzen Mäuse fressen, der Lehrer seine Schüler gehässig anfährt und sich die Kollegen gegenseitig in den sozialen Medien fertigmachen, ist sicher noch nicht Friede auf Erden.» – «Ich verstehe dich gut», erwidert Vater, «doch schau mal, wie umkämpft der Friede war, als Jesus geboren wurde. Herodes hatte Angst, der Friedefürst könnte sich als neuer König auf seinen Thron setzen. Deshalb wollte er das Jesuskind umbringen lassen. Du siehst, Mobbing gibt es nicht erst in der Zeit von Facebook & Co.»
Nach einer Weile fährt Vater fort: «30 Jahre später waren alle gegen einen. Die Welt wollte den Friedenskönig loswerden. Man liess ihn ans Kreuz nageln und sterben. Doch drei Tage später lebte Jesus wieder. Als er nach 40 Tagen von seinen Freunden Abschied nahm, versprach er: «Ich gebe euch meinen Frieden.» – «Und wo ist dieser Friede heute?», fragt Lars nachdenklich. «überall dort, wo wir Jesus regieren lassen», so der Vater. «Erinnerst du dich, wie ich euch vor einem Jahr erzählte, dass ich mich in der Firma für einen neuen Posten beworben hätte? Ich dachte, es würde klappen. Doch dann setzten sie mir einen jungen Emporkömmling vor die Nase. Ich war wütend wie selten. Eine Woche lang konnte ich nachts kaum schlafen. Schliesslich habe ich gebetet. Ich sagte: ‹Jesus, du siehst diese Gemeinheit. Am liebsten würde ich alles hinschmeissen und kündigen…› Mensch, was ich damals alles gebetet habe! Aber daraufhin wurde es mir leichter. Ich konnte dem jungen Mann vergeben – auch wenn dieser eigentlich gar nichts falsch gemacht hat. Dem Vorgesetzten habe ich später ebenfalls vergeben. Daraufhin sagte ich zu Jesus: ‹Du hast Frieden versprochen. Gib mir jetzt diesen Frieden›. Vielleicht glaubt ihr das nicht, aber in diesem Moment war der ganze Frust weg. Ein tiefer Friede breitete sich in mir drin aus. Dieser Friede ist bis heute geblieben. Mittlerweile komme ich mit dem jungen Kollegen ganz gut zurecht. Ich bin überzeugt, dass ich ihm aus meiner eigenen Kraft heraus niemals hätte vergeben können. In dieser herausfordernden Situation erlebte ich den Friedefürst Jesus.» – «Der Wolf wird zu Gast sein bei dem Lamme, gell Vater», sagt daraufhin Lars.
Vater nickt: «Genau, ich bin überzeugt, dass wir diesen Frieden, der einmal sein wird, schon heute immer wieder erleben dürfen, nämlich dort, wo wir dem Friedenskönig Jesus in unserer umkämpften Alltagswelt Raum geben.»
«Ich hätte da mal eine Idee», sagt daraufhin Marlies. «Immer dann, wenn ich so wütend bin, dass ich fast explodiere, könnte ich Jesus bitten, mit seinem Frieden in diese Schwierigkeit hineinzukommen.»
Lars lächelt: «Gilt das auch, wenn dich das nächste Mal eine Maus auf den Stuhl hinauftreibt? – Jesus, Hilfe, ich brauche deinen Frieden!»
Marlies boxt ihren Bruder sanft in die Seite und entgegnet: «Du kannst Jesus um Frieden bitten, wenn du wieder einmal mit dem Hammer deinen Finger triffst.»
«Wisst ihr was, Kinder», unterbricht der Vater: «Das Friedensangebot von Jesus gilt immer zuerst uns selber. Wartet nicht, bis sich der andere bei euch entschuldigt. Sonst könnt ihr womöglich warten bis ihr grau seid. Wenn du merkst, du hast keinen Frieden mehr, dann bitte Jesus, dass er dir seinen Frieden gibt.»
Daraufhin wird es wieder still in der Weihnachtsstube. Noch immer dreht sich der Engel an der Baumspitze und verkündet seine Botschaft «Friede auf Erden!» Eigenartig, obwohl die Katze die weihnächtliche Stimmung zerstört hat, spürt Familie Grünig, dass sie dem echten Weihnachtsfrieden näher ist denn je.
Die Geschichte steht im neu erschienenen Buch: «Die Katze unter dem Weihnachtsbaum – Advents- und Weihnachtsgeschichten» von Herbert Held, Pfarrer in Röthenbach. Das Buch enthält elf Kurzgeschichten, in welchen der Autor konkrete Alltagssituationen mit dem christlichen Glauben verbindet. Erhältlich ist es für 10 Franken beim Autor, bei Herrmann Druck AG in Langnau, über emmentalshop.ch oder im lokalen Buchhandel.