Alles, was es für ein Musiklabel braucht: Die Posaunistin Josephine «Jo» Nagorsnik hat viel Technik und viele Ideen für neue Alben. / Bild: zvg
Oberburg: Josephine Nagorsnik brennt für die Musik. Besonders für die Posaune. Weil sie wegen Corona kaum Auftritte hatte, gründete sie kurzerhand ein eigenes Musiklabel.
Schon vor der Schulzeit begann sie, Klavier und Gitarre zu spielen, später kam Posaune dazu. Während der Schule nahm Josephine Nagorsnik Musikunterricht und nach dem Gymnasium studierte sie in Bern Musikwissenschaft und Philosophie. Sie schloss mit dem Bachelor in Posaune ab und errang anschliessend den Master in Komposition und Arranging – natürlich im Jazz.
«Posaune spielen ist verflixt schwer»
Posaune zu lernen, erklärt Jo, wie ihre Freunde sie nennen, sei verflixt schwer. Es sei ein Blasinstrument ohne Tasten. Das heisst, um einen exakten Ton zu spielen, müsse nicht nur der Zug der Posaune in die richtige Stellung gebracht werden. Auch die Puste müsse im rechten Mass, die Lippenspannung exakt und die Zunge genau in Position gebracht werden. Die Kunst sei das Zusammenspiel von allem. Nur damit lasse sich die geforderte Tonhöhe, die Expressivität und das gewünschte Timbre erzeugen. Anfangs habe sie geheult und geschimpft, aber trotz innerer Verzweiflung beharrlich weiter geübt. Heute strahlt sie vor Freude, wenn sie sagt: «Von dem Moment an, wo du den Dreh raus hast und die Tonleiter sauber rauf und runter schaffst, von dem Moment an fägts extrem!» Die Posaune erlaube, eine ausserordentlich vielfältige Klangwelt abzubilden. Mit ihr könne man grell, schräg, laut und aggressiv, dann wieder harmonisch, leise, zart und gefällig spielen, und – dank des Zugs – stufenlos sieben Halbtöne hinauf und hinunter anklingen lassen. Kurz gesagt: Für Jo gibt es kein vergleichbares Instrument. Sie komponierte neben dem Studium experimentelle Musik, gründete die Band Polyhedron, ging mit ihr auf Tournee und nahm das Album «Uhrenvergleich» auf. Nach dem Studienabschluss unterrichtete sie an der Musikschule Posaune, um Geld zu verdienen. Dabei wurden andere Bands auf sie aufmerksam, denn gute Posaunistinnen sind rar. Sie wurde angefragt und trat zuletzt in zehn verschiedenen Formationen auf. Musik bestimmte fortan ihr Leben. Sie war ständig auf Achse.
Was jetzt?
Von einem Tag auf den anderen wurde alles stillgelegt: Corona-Pandemie. Sie hockte in ihrer Dachwohnung, umringt von Instrumenten, Lautsprechern, Verstärkern, elektronischen Pedalen, Noten, Kabeln, Büchern und CD’s und kam ins Grübeln. Was jetzt? Wie weiter? Sie raffte sich auf, nutzte die Zeit und gründete das Musiklabel Ranunkel Records. Das erste Album, das sie auf dem Label herausbrachte, war «Uhrenvergleich». Sämtliche Stücke, die sie mit ihrer Band Monate zuvor eingespielt hatte. Durch das Label erlangte sie professionellen Zugang zu den Streaming-Plattformen. «Uhrenvergleich» kann in allen gängigen Online-Stores heruntergeladen werden. Jo komponierte neue Sachen und regte Kolleginnen an, die Stücke gemeinsam einzuspielen. Sie legte mehrere Beats vor und mailte sie an Musikerinnen und Musiker in Dänemark, Deutschland, Finnland, Island, Libanon und der Schweiz. Die sassen alle auch zu Hause fest. Sie hörten die Beats und steuerten mit ihren Instrumenten ihre Einsätze bei. Jo sammelte die zehn Tonspuren ein, spielte Posaune dazu und mischte alles gekonnt übereinander. Die Resultate lassen sich hören. Es ist junge Musik, ungewohnt, faszinierend, sperrig, schillernd und belebend. Jo wird das Album unter dem Namen «Lava Beam» demnächst veröffentlichen. Im Gespräch erklärt sie: «Ich weiss, dass es im Emmental talentierte Musiker und Musikerinnen gibt. Bestimmt liegen da und dort fertige, oder halbfertige Projekte in den Schubladen. Ungehobene Schätze.» Falls jemand auf einem Projekt sitze und bereit sei, sich auf das Abenteuer einzulassen, solle er oder sie sich bei ihr melden. Sie denke an ungewöhnliche, neuartige Musik, an mutige Formen, an Glanzstücke, die aufhorchen lassen. «Ranunkel Records» sei offen für jede Art von Musik. Ihr Label könne die Stücke aufbereiten, hochladen und auf eine CD brennen. «Wenn jemand das wünscht, schneiden wir sogar Vinyl-Platten.» Die finanziellen Mittel dafür seien allerdings begrenzt, fügt sie noch an. Auf die Frage, ob sie keine Angst habe, nach dieser Bekanntgabe von Anfragen überhäuft zu werden, lacht sie: «Nein. Wir sind gut aufgestellt und wir brennen alle für die Musik.»