Die Jahre haben dieses Gesicht gezeichnet. Jacky Orler lässt die Jahrringe des Stamms aus Douglasienholz geschickt zur Geltung kommen. / Bild: Elio Stettler (ese)
Walkringen: Acht Holzbildhauerinnen und Holzbildhauer haben während einer Woche je eine Skulptur aus Holz geschaffen. Diese werden auch in Zukunft beim Rütihubelbad zu bestaunen sein.
Novalis-Allee. So heisst ein rollstuhlgängiger Weg, der durch ein Waldstück auf dem Gelände des Rüttihubelbads führt und nach dem romantischen Dichter und Philosophen Novalis benannt ist. Tritt man aus dem Wäldchen hinaus, geniesst man eine grossartige Aussicht auf die Berner Alpen und die Gantrischkette. Letzte Woche haben acht Holzbildhauer und Holzbildhauerinnen den idyllischen Ort in Beschlag genommen. Mit dröhnenden Motorsägen beginnen sie Rohlinge zu bearbeiten, die von hundertjährigen Douglasientannen aus der Gemeinde Sumiswald stammen. Was sie aus dem Holz sägen wollen, haben sie genau im Kopf. Ihre Ideen zum Thema «Begegnung wagen» haben sie in Form von Skizzen, kleinen Modellen und Beschreibungen festgehalten und gut sichtbar am Rande ihres Arbeitsplatzes platziert.
Jahrringe als Höhenkurven
Tatsächlich sind wir an diesem Mittwochnachmittag nicht die einzigen Besucher, welche interessiert den Holzbildhauern bei ihrer Arbeit zuschauen. Als erstes bleibt unser Auge an einem riesigen Kopf hängen. Er stammt von Jacky Orler, einer Holzbildhauerin aus der Schweiz. Mit Schnitzeisen und Hammer hat sie das Holz so beschnitten, dass die Jahrringe wie Höhenkurven nachzeichnen, wo es im Gesicht hinauf und hinunter geht. Später wird die Künstlerin dem Gesicht eine stachelige Punkfrisur verpassen. Wir zweifeln, ob wir mit dieser Person eine «Begegnung wagen» würden.
Eine andere sehr gelungene Arbeit stammt von Martina Kreitmeier, die aus Bayern angereist ist. Sie hat den Stamm zuerst längs halbiert und daraus zwei Menschen in Lebensgrösse herausgesägt. Aufrecht wie Könige stehen sie da und tauschen sich auf der geistigen Ebene aus. Sehr sinnlich geht Markus Flück das Thema an. Der Holzbildhauer und Fotograf, der 14 Jahre lang die weltberühmte Holzbildhauerei Huggler AG in Brienz leitete, sägt mit der Kettensäge ein Liebespaar aus dem Stamm heraus. Die beiden Köpfe, die Arme und Beine des engumschlungenen Paares sind bereits zu sehen. Auch Kurt Wierer, Bildhauer aus dem Südtirol, zeigt den Körper einer nackten Frau. Einen Teil des Stammes lässt er stehen, so dass ein mystischer Eindruck entsteht.
Bewegen und begegnen
Die anderen vier Künstler arbeiten abstrakt. Allen voran Martin Bill, der künstlerische Leiter des Symposiums. «Man muss sich bewegen, um einander zu begegnen», sagt er. Die Bewegung stellt der Künstler in Form von dünnen Wellen dar, die bleierne Schwerkraft, die uns oft daran hindert, als unbeweglichen Klotz.
Gleich zwei Assoziationen kommen uns beim Werk von Simone Carole Levy aus Deutschland in den Sinn. Die Figur erinnert zum einen an ein Känguru-Weibchen mit ihrem Jungen, zum anderen gleicht das Werk, das die Künstlerin gerade mit dem Winkelschleifer abschleift, einem rohen Ei. «Begegnung mit Neuem» nennt die Künstlerin die Figur und schreibt dazu: «Es lohnt sich, neuen Impulsen zu begegnen, Neues in uns zu unterstützen, das Pflänzchen zu hegen und sich entfalten zu lassen.» Niklaus Krebs, gelernter Forstwart und Sozialpädagoge im Rüttihubelbad, der normalerweise keine ganzen Stämme bearbeitet, hat eine Figur geschaffen, die an den Urwald erinnert. Stäbe, auf denen zwei weibliche Körper schwach angedeutet sind, winden sich wie Lianen in die Höhe. Hartmut Rademann, Holzbildhauer aus dem Erzgebirge, der meisterhaft Madonnengesichter und Krippenfiguren schnitzt, wagt sich ebenfalls auf Neuland. Er hat eine Klangharfe gebaut. Unglaublich schön sieht dieses Instrument aus. Und klingen tut das Holz auch, je nachdem, wo man mit dem Klöppel hin klopft, höher oder tiefer. Rademann hat sich für seine Arbeit vom Sensorium inspirieren lassen, das dieses Jahr seinen 20. Geburtstag feiert.
Raus aus der eigenen Werkstatt
Gegen den Lärm der Motorsägen tragen alle Holzbildhauer einen Ohrenschutz. Schweiss rinnt ihnen über das Gesicht. Doch die Stimmung ist gut. Jacky Orler sagt stellvertretend für die anderen: «Wären wir nicht hier, würden wir alle alleine in unserer Werkstatt arbeiten. Der Austausch untereinander ist sehr inspirierend. Und wir können uns ganz unserer Arbeit widmen.» Tatsächlich stellt das Rüttihubelbad der Crew die ganze Infrastruktur zur Verfügung.
Wer auch jeden Tag vor Ort ist, ist Hansueli Eggimann, der viele Jahre das Alters- und Pflegeheim leitete. Von ihm stammt die Idee. Während die Künstlerinnen und Künstler nach der Finissage am Samstag wieder abreisen, bleiben die Kunstwerke hier. Zunächst kann man sie in der Nähe des Restaurants auf einem Platz unter Kastanienbäumen bewundern. Anschliessend erhalten sie in der Novalis-Allee ihren endgültigen Standort. Dort wird jede Holzskulptur auf ihre Art dazu auffordern, das Leben nicht zu verneinen, sondern zu bejahen.