«Man dürfte erwarten, dass hier mehr Luchse leben müssten»

«Man dürfte erwarten, dass hier mehr Luchse leben müssten»
Der Luchs B709 war viel unterwegs. Er wurde am Thunersee wie auch am Giswilerstock erfasst. / Bild: zvg
Natur: Der Luchsbestand wächst zwar schweizweit - dennoch gibt es Herausforderungen, wie das aktuelle Monitoring zeigt. Wie viele dieser Tiere leben im Entlebuch und Emmental?

Insgesamt wurden elf selbstständige Luchse und drei bis vier Jungtiere aus mindestens zwei Würfen nachgewiesen. Die Zahlen beziehen sich auf das Referenzgebiet Zentralschweiz-West, das vom Pilatus bis an den Thunersee reicht und somit auch die voralpinen Gebiete des Entlebuchs und des Emmentals umfasst. Dies geht aus dem Monitoring der Stiftung Kora - Raubtierökologie und Wildtiermanagement hervor. Die Dichte an Luchsen ist mit 1,35 Tieren pro 100 Quadratkilometer höher als bei der letzten Zählung 2021, aber leicht tiefer als in allen drei vorangegangenen Erhebungen. «Man dürfte erwarten, dass hier mehr Luchse leben müssten», sagt Daniel Schmid, der als Wildhüter im Entlebuch tätig ist und beim Moni­toring mitgewirkt hat. «Der Lebensraum hier scheint mir ideal zu sein für Luchse, es hat viele strukturreiche Wälder und auch gute Reh- und Gamswildbestände.» Ursula Sterrer, Leiterin Luchsmonitoring: «Die Luchsdichte hängt nicht nur vom Lebensraum, sondern von vielen Faktoren ab, wie Störungen, Verlusten von adulten Tieren oder Reproduktionserfolgen. Zudem können die Territorien, je nach Umweltbedingungen in der Grösse variieren.»


Im Oberland leben viel mehr Luchse

Im angrenzenden Referenzgebiet Berner Oberland-Ost ist die Luchs-Dichte im Vergleich zu Zentralschweiz-West fast viermal so hoch. Daniel Schmid kann sich die eher kleine Population im hiesigen Gebiet auch nicht ganz erklären. «Man weiss zwar, dass die Sterblichkeit in den ersten zwei Jahren bei über 50 Prozent liegt. Aber dass auch erwachsene Tiere, die einen Sender tragen, plötzlich verschwinden macht einen schon stutzig.» Werden die geschützten Tiere gewildert? Beim Monitoring, bei dem mit Fotofallen gearbeitet wird, wurde festgestellt, dass der Luchs im Entlebuch nicht bei allen willkommen ist. So auch im Emmental, wie im Kora-Bericht zu lesen ist: «Hier gab es auch grosse Probleme mit Sabotage und Diebstahl von Kameras.» Auch wurden in dem Referenzgebiet schon mehrfach Waisenjunge entdeckt. 

Ursula Sterrer ordnet ein: «Es kann sein, dass Jungtiere beispielsweise aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder weiteren Vorfällen nicht mit der Mutter mitkommen oder frühzeitig getrennt werden. Der Tod der Mutter wäre ein weiterer Grund.» Verwaiste Jungluchse werden nicht aufgegeben, sondern in einem speziellen Gehege aufgezogen, wie Daniel Schmid berichtet. Dass diese Tiere dann in der freien Wildbahn überlebensfähig sind, hat Yana bewiesen. Die Luchsin wurde 2023 wieder ausgewildert. «In den ersten Monaten wird bei solchen Luchsen kontrolliert, ob sie selbstständig jagen können», erklärt Daniel Schmid. Im Fall von Yana, die meist im Kanton Obwalden lebt, hat sich gezeigt: Sie macht ihre Sache gut.»


Eine Blutauffrischung ist nötig

Ein Problem, an dem alle Luchspo­pulationen der Schweiz kranken, ist die zunehmende Inzucht. Die Tiere gehen alle auf wenige Luchsinnen und Luchse zurück, welche Anfang der Siebzigerjahre ausgewildert wurden. Das Monitoring hat gezeigt, dass die meisten Tiere zwar in einem relativ grossen Revier unterwegs sind, dieses aber höchstens als Jungtier verlassen. Die bewies das Männchen B1068, das erstmals 2022 hier nachgewiesen wurde und ursprünglich aus dem Gebiet Charmey stammt. Das Monitoring hat weiter bewiesen, dass die Luchse mehr ins Mittelland vorstossen. Wird sich die hiesige Population bald etwa mit jener des Juras vermischen? Es gebe zwar einzelne Punkte, wo die Populationen zusammenträfen, sagt die Leiterin des Kora-Luchsmonitorings. Bezüglich Inzucht werde es aber kurz- bis mittelfristig nötig sein, die genetische Diversität in der Schweiz mit neuen Individuen aufzufrischen. Für Wildhüter Daniel Schmid bleibt der Luchs ein spannendes Tier und er wird weiterhin für dieses einstehen: «Sie sind nicht scheu, aber heimlich», fasst er ihr Wesen zusammen.

Wolf, Wildkatze und Goldschakal

In die Fotofallen, die für das Monitoring aufgestellt worden sind, tappten natürlich nicht nur Luchse, sondern auch Rehe, Katzen, Menschen und weitere Raubtiere.

  • Wölfe wurden wenig fotografiert. Einzig im Gebiet Schallenberg gabs mehrere Nachweise.
  • Wildkatzen konnten ausserhalb des «Wochen-Zeitung»-Gebiets nachgewiesen werden, nämlich im Gebiet Harder bei Interlaken.
  • Eine wohl für viele Leserinnen und Leser neue Art tappte bei Brienz und bei Interlaken in Fotofallen: der Goldschakal. Die Fachstelle Kora schreibt zu diesem Tier: «Der Goldschakal ist kein Neozoe: Er wurde nicht vom Menschen in ein anderes Verbreitungsgebiet gebracht. Der Goldschakal konnte sein Verbreitungsgebiet infolge Fehlen des Wolfes immer mehr gegen Mitteleuropa ausdehnen.»

05.12.2024 :: Bruno Zürcher (zue)