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«De Chüngle gfauts»

Mitte August bin ich ohne messbaren Grund nach 23 Jahren in meine alte Heimat gezogen. Aus der Stadt aufs Land. Vom alles-zu-praktisch-jeder-Zeit-bekommen zu sonntags-nicht-mal-am-Bahnhof-eine-Schmerztablette-finden. Von Bern nach Langnau hingere. Das zu sagen hat mir mein Vater zwar subito verboten. Mit einer Deutlichkeit, als wäre dieses «hingere» ein verbaler Angriff auf eine Gemeinde, die als innovativ, als sehr «gäg füre» bekannt ist. Er meinte es natürlich wirtschaftlich – und dieser Fokus hat es in keins meiner Chromosome geschafft. Keine grosse Käseproduzentin und kein KMU der Welt sind in meinem Universum je richtungsweisend gewesen. Auch keine maximale Anzahl Grossverteiler auf engstem Raum. Nein, ich bin da viel einfacher gestrickt. Meine grössten Lebensentscheidungen basieren auf purer Intuition. Auf der simplen Lust auf Dinge, die nur erfahren kann, wer sie auch tatsächlich tut. Wie beispielsweise den Job wechseln, einen neuen Namen annehmen, oder eben, ohne ernsthaft nachvollziehbaren Grund in den Ort zurückzuziehen, in dem man aufgewachsen ist. Und ja, jetzt bin ich eben da. An dem Ort, wo ich mit meiner besten Freundin in den Neunzigern vor Lachen in Abfalleimer pinkelte, die inzwischen durch Selecta-Automaten ersetzt worden sind. Die Erinnerungen lauern an jeder Ecke. Wenn ich an der öffentlichen Toilette auf dem Viehmarktplatz vorbeigehe etwa, in der – so wurde uns seinerzeit von einer Anwohnerin eingebläut – «Haschspritzen» herumliegen. Oder wenn ich über den Höheweg-Sportplatz renne wie damals in der 9. Klasse – bloss dieses Mal angezogen. Keine noch so vielversprechende Innovation kann simulieren, wie es einfährt, Menschen zu begegnen, deren Gesicht man 20 Jahre nicht gesehen oder mit denen man zuletzt an einer Party im Bärau rumgeknutscht hat. Ich schwöre, auf einen besseren Trip können Sie nicht kommen. Wieder hier zu sein, macht mich seit Monaten so konfus, dass ich oben und unten nicht mehr unterscheiden kann. Geschweige denn, ob Langnau hinten oder vorne ist. Was ich immerhin klar und deutlich spüre: In meiner persönlichen Entwicklung bin ich seit August ein grosses Stück vorwärtsgekommen. Auch wenn ich ein paar wirklich identitätsstiftende Dinge in meinem alten Leben zurückgelassen habe. Da fällt mir ein Gespräch ein, das ich in einem Moment des Haderns im Käpt´n Holger belauscht habe. Auch da ging es um einen Umzug, und auf die Frage, ob er sich am neuen Ort wohlfühle, antwortete der Mann: «De Chüngle gfauts, täichi aube.»

11.01.2024 :: Miriam Margani-Lenz (mml)