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Von alten und jungen Säcken

«Bro, Digga, hütt han i gmerkt, dass i aut wirde, Mann! Hütt het mi im Bus äs Ching eifach so gsiezt!» 

Bei meiner Arbeit mit Berufsschülern komme ich nicht umhin, hin und wieder Gespräche junger Menschen mitzuhören. Ob ich will oder nicht. Ich will gerade nicht und tu so, als wäre ich in Korrekturarbeiten vertieft, vorne an meinem Platz am Lehrerpult. Bei mir liegt diese Erfahrung schon eine Weile zurück, aber ich erinnere mich noch gut daran. Schon von Erwachsenen gesiezt zu werden, fühlte sich zunächst eigenartig an. Als würde man in einen erlauchten Kreis aufgenommen, aber gleichzeitig wird durch die Höflichkeitsform eine neue Distanz aufgebaut. Geradezu schmerzlich war jedoch die Erfahrung, zum ersten Mal von einem Kind gesiezt zu werden. «Du gehörst jetzt nicht mehr dazu», hiess das. «Du bist keiner mehr von uns.» Verstossen in die kalte, triste Welt des Erwachsenseins. Peter-Pan-Komplex. «Aute, du bisch siebzähni», gibt der angesprochene zur Antwort. «Fing di drmit ab, dass du ä aute Sack bisch!» Keine Ironie. Ein abgeklärtes Gespräch zwischen zwei Männern, die einsehen, dass sie ihr Schicksal hin­nehmen müssen. Ich kann den beiden Jugendlichen nachfühlen. Aber «alter Sack»? Was bin dann ich in deren Augen? Kompost? Neulich reiste ich im Zug von Bern nach Langnau. In Wankdorf stieg eine – in meinen Augen – etwas ältere Person zu. Nicht gebrechlich, das nicht, aber doch schon eher ennet der Blüte. Das Abteil war pumpenvoll, mehrere Fahrgäste reisten bereits stehend. Die Person blickte sich mit leicht angesäuerter Miene suchend um. «Würdet dir gärn hocke?», fragte ich und hob ansatzweise meinen Hintern, um zu signalisieren, dass ich bereit wäre, meinen Sitzplatz freizugeben. Manchmal drückt noch heute meine gute Kinderstube durch. Die Reaktion war unerwartet brüsk: «Nei, sicher nid!», fauchte die Person und bedachte mich mit einem entrüsteten Blick, als hätte ich durch das Abteil gerufen: «Seht her, da ist jemand alt!» Beschämt blieb ich sitzen. Vielleicht war es für diesen Menschen das erste Mal, dass ihm jemand aufgrund seines Alters einen Sitzplatz anbot. Vielleicht ist der Schrecken vergleichbar mit demjenigen des Schülers, der zum ersten Mal von einem Kind gesiezt wird. Sollte mir dereinst jemand Jüngeres einen Sitzplatz offerieren, nehme ich das Angebot an. Einfach so. Auch wenn ich mich dann noch fit fühle. Die kleinen Freuden des Alters, werde ich denken, mich bedanken und die Fahrt im Sitzen geniessen.

29.02.2024 :: Peter Heiniger