Ende einer Hausarztpraxis der alten Schule

Ende einer Hausarztpraxis der alten Schule
Derzeit sind Markus und Christine Bieri noch damit beschäftigt, die Praxis aufzuräumen; sämtliches Material wird weiterverwendet. / Bild: Bruno Zürcher (zue)
Langnau: Der Hausarzt Markus Bieri hat seine Praxis infolge Pensionierung geschlossen. Nun gilt es noch, aufzuräumen – und auf seine Tätigkeit als Hausarzt zurückzublicken.

1997 hat Markus Bieri die Hausarztpraxis von seinem Vorgänger übernommen. Vorher war er zwei Jahre im Ausland im Einsatz. Von dieser Zeit erzählt er immer noch gerne, hat er doch dort die Basismedizin kennengelernt. Mit der grundlegenden me­dizinischen Versorgung konnte er im Leben der Patienten in Afrika grosse Veränderungen bewirken.

An der Emmentaler Bevölkerung schätzte Markus Bieri die Toleranz, den Familiensinn wie auch die Hilfsbereitschaft. Er bewunderte ihren Umgang mit Schicksalsschlägen. Mit Hilfe des Umfeldes und von medizinischen Fachpersonen seien manchmal unkonventionelle Unterstützungs-massnahmen gelungen.


Emotionen und Erwartungen

Markus Bieri blickt zurück auf 40 Jahre medizinische Entwicklung. Heute bestehe die Gefahr des Machbarkeitsglaubens, erkennt er. Die Konzentration auf medizinische Technik gelange an ihre Grenzen. Dafür kämen Lebensfragen zu kurz. «Wir sollen probieren, gesund zu bleiben, um leben zu können», sagt er, «aber die Gesundheit ist nicht der Sinn des Lebens.» Scharfsinnig setzt er sich mit dem Zeitgeist auseinander. Das 21. Jahrhundert habe in der westlichen Welt ein hohes Niveau an Sicherheit erreicht und zu einer entsprechenden Erwartungshaltung geführt, schrieb Bieri 2017 in einem Artikel in der Ärztezeitung. «Nebst rein rationalen Aspekten fliessen in der Hausarztmedizin auch emotionale und soziale Elemente ein. Denken, Entscheiden und Handeln werden in zunehmendem Mass von den Gesetzen des freien Marktes geprägt. Individuelle Freiheiten zu beschneiden, stellt die grösste Schwierigkeit dar beim notwendigen Paradigmenwechsel», steht da unter anderem zu lesen.


Interessenten und Vorstellungen

Leider fand Markus Bieri keinen Nachfolger für die Praxis, obwohl er sie gratis weitergegeben hätte. «Inte­ressenten gab es durchaus, jedoch liessen deren Vorstellungen oder Lebensumstände eine Übernahme nicht zu», erzählt er. Auch eine Gemeinschaftspraxis hätte er sich von der räumlichen Grösse her gut vorstellen können. Er finde es auch schade, dass das Spital Langnau, das neuen Raum brauche, nicht zugegriffen habe.

«Kaum ein junger Arzt will heut­zutage noch zu 100 Prozent arbeiten», stellt Markus Bieri fest. «Viele Ärzte wohnen auch nicht mehr dort, wo sie arbeiten.» Die Gründe ortet er in der heutigen Lebensweise. «Es herrscht eine zunehmende Begehrlichkeit bei abnehmender Dienstbereitschaft», be­merkt er.


Praxis und Familienalltag

Bieris blicken dankbar auf die erlebte Zeit in Langnau zurück. Christine Bieri berichtet: Die Praxis habe den Familienalltag geprägt, aber es sei eine reiche, erfüllte Zeit gewesen, die sie nicht missen möchte. «Work ist Life gewesen», pflichtet Markus Bieri bei. «Man kann viel erleben, wenn man das Leben mit Menschen teilt.» Sie hätten beim Abschied von den Patienten viel Dankbarkeit erfahren, aber auch Bedauern und Verständnis.

Nun wollen die Bieris einen Schnitt machen und eine andere Rolle übernehmen. Sie verkaufen ihr Haus in Langnau und machen sich auf in Markus Bieris alte Heimat.

29.08.2024 :: Sylvia Ammann (sal)