In Sachen Gerechtigkeit sind wir alle Expertinnen und Experten. Zumindest bei dem Teil, der uns geschuldet ist. Wird nicht geliefert, reagieren wir empfindlich. Stehen wir umgekehrt in der Pflicht, sind wir geduldiger. Zu einer Tugend wird die Gerechtigkeit dort, wo sie aus freien Stücken gelebt und gewährt wird und nicht zuerst per Vertrag, Gesetz oder unter Androhung von ernsthaften Nachteilen in Erinnerung gerufen werden muss. In den Evangelien ist das Thema Gerechtigkeit eng verknüpft mit dem Reich Gottes. Doch aufgepasst: Hier laufen unsere eingespielten Reflexe manchmal ganz schön ins Leere. So können im Reich Gottes um der Gerechtigkeit willen Verfolgte als selig erklärt oder Letzte zu Ersten werden. Wie beispielsweise bei den Arbeitern im Weinberg. Alle erhalten gleich viel Lohn trotz unterschiedlicher Arbeitsleistung. Nämlich so viel, dass man damit seinen Tagesbedarf an Lebensmitteln gut stillen kann. Keine skandalöse, göttliche Willkür also, sondern der Wink mit dem Zaunpfahl, dass bitte schön alle von ihrer Arbeit angemessen leben können sollten. Zumindest im Reich Gottes. Wie es sich hier auf Erden so verhält, wissen wir alle. Die Annahme, dass jenes Reich nicht von dieser Welt sein soll und die darin entfaltete Gerechtigkeit Gottes ergo in unserem Alltag keine Relevanz haben kann, ist leider seit Jesu Zeiten ein weit verbreitetes Missverständnis. Deshalb kann man es nicht oft genug sagen:
Es war, ist und bleibt ungerecht, wenn Menschen nicht vom Lohn ihrer Arbeit leben können, um bei diesem Beispiel zu bleiben. Und manchmal tut es Not, wenn unser Verständnis von dem, was wir alles landläufig als gerecht empfinden, gegen den Strich gebürstet wird. Damit wir aufwachen. Denn eigentlich entspringt die Gerechtigkeit einer Bringschuld. Gerechtes Tun beginnt bei mir. Dann wird mein Lohn gross sein, nicht erst im Himmel.