Kennen Sie das aus Ihrer Familie auch? Die eine redet nicht mit der anderen, es sei denn, es geht um eine Dritte in der Familie, die massive Probleme oder sich danebenbenommen hat? Dann bildet sich eine Allianz, die vor wenigen Tagen unvorstellbar gewesen wäre. Es gibt X Spielarten, wie sich in Familien zugewandte oder abgewandte Beziehungen entwickeln können. In meiner zum Beispiel. Vor Kurzem drehte ich eine Familienrunde. Drei Städte, drei Schwestern. Viele Sorgen. Denn all meine Schwestern sind älter als ich – von 70 bis 78. Eigentlich bräuchte ich jetzt Urlaub nach dieser Reise. Natürlich kann ich jetzt schon aus Datenschutzgründen leider nicht über meine drei Schwestern berichten. Das ist auch nicht nötig, denn Sie müssen sich ja nur in Ihrer Familie umschauen und wissen sofort, was ich meine. Die eine redet nicht mir der anderen, aber mit der Dritten über die nicht Anwesende. Ja, es gibt diese Verwandtschaften, bei denen alles glatt und harmonisch läuft. Dazu kann man nur gratulieren! Ich habe mal gelesen, dass der Zwist zwischen Geschwistern letztlich auf die Eltern zurückzuführen ist, die vieles versäumt haben. Kein Wunder, denn bei uns sass immer der zweite Weltkrieg mit am Tisch. Er sagte zwar nichts, aber das sehr laut. Eines wurde mir kürzlich im Gespräch mit einer Freundin bewusst. Meine Eltern waren schon 40 Jahre alt, als ich auf die Welt kam. Das war damals ungewöhnlich. All meine Schulkumpels hatten Eltern, die den Krieg als junge Erwachsene nicht erlebt hatten – meine schon. Die Energie, die sie zur Verfügung hatten, brauchten sie, um ihre Traumata zu managen. Da blieb für Kinder nicht viel Kraft übrig. Wir organisierten uns quasi selbst. Mit vier älteren Geschwistern hatte ich als Nachzüglerin nicht viel zu melden. Dafür zog ich schon früh aus und sah mir die Familie aus sicherer Entfernung an. Später dann sogar aus der Schweiz, wie Sie wissen. Und nun musste ich diese Rundreise antreten, um nach dem Rechten zu sehen. Früher hatte ich nichts zu melden, heute schaue ich auf alte Frauen, die alle einen Rucksack voller Probleme schleppen. Mein Gepäck ist vergleichsweise leicht, und das macht mich ein bisschen stolz. Ein befreundeter Dolmetscher fragte mich gestern, ob ich wisse, dass es im Türkischen ein Verb für diesen familiären Irrsinn von Kontakt und Nicht-Kontakt gibt: Es heisse «küsmek». Falls ich mich also mal wieder darüber aufrege, wer mit wem spricht oder nicht, sag ich einfach «küsmek» und zucke mit den Schultern.