Hans Minder erzählt die alten Sagen neu und in Dialekt

Emmental: Nachdem das Bändchen mit den Sagen aus dem Emmental lange vergriffen war, macht ein neues Büchlein den Geschichtenschatz wieder zugänglich. Der hierzulande bekannte Lokalhistoriker Hans Minder lässt die alten Geschichten in ihrer ganzen Farbigkeit wieder aufleben. Die kernige Mundart des geborenen Erzählers bewirkt, dass es den Lesern hie und da kalt über den Rücken fährt.

Was ursprünglich als Vorlage für eine Radiosendung gedacht war, liegt nun in Buchform vor. Die von Hans Minder erzählten Geschichten bieten spannende Lektüre und eignen sich auch zum Vorlesen.

Der Dialekt bringt Nähe und Farbe in die Schilderungen hinein. Die vielen treffenden Ausdrücke zeugen von der Fabulierlust des Erzählers und führen dazu, dass man die Schauergeschichten mit Spass und Vergnügen liest. Ausdrücke wie «es schitters Bürgli» für eine kleine Burg, «es gädrigs Manndli» und französische Wörter wie «Odörr» und «schüstemänt» erheitern das Gemüt.

In der Sage von Burgdorf wird der Drache im Kampf zum furchterregenden «Draach», der seinen Rachen weit aufsperrt und Bertram, den jüngeren Ritter, lebendig verschluckt. Nach beendeter Schlacht greift Sieger Sintram zum Schwert und «hout däm Ughüür dr Ranze uf». Poetischer geht es in der Sage «Dr guldig Trämel im Napf» zu, wenn in den heiligen Nächten «d` Naturgeischter dr Bärg uftüe u d`Bärglütli dä Trämel i ds Mondliecht schleipfe. Vo unger im Taal cha mes de gsee glitzere, zoberscht uf em Napf.»



Frei erfunden mit einem Kern Wahrheit

Doch was unterscheidet die Sagen von den Märchen? Sie sind ortsgebunden, sie ereignen sich auf Alpen, in Berghöhlen, in der Nähe von Findlingen und Schlössern, kurz, an Orten, die es in Wirklichkeit gibt. Ein grosses Plus des neuerschienenen Bändchens ist, dass es diesem Umstand Rechnung trägt und die Sagen nach ihren Schauplätzen (und nicht nach ihren Fabelwesen) einordnet. Schwarzweissfotografien, die das Büchlein illustrieren, weisen zusätzlich auf die real existierenden Handlungsorte hin, auf die sich die Sagen beziehen.



Teil der Ortsgeschichte

«Bei der Sage um die Ruine Wartenstein ist alles erfunden und erlogen», lacht Hans Minder, der es als Lokalhistoriker wissen muss. In ernsterem Tonfall fährt er fort: «Obschon die Geschichte eine einzige Lüge ist, ist sie Teil der Ortsgeschichte und interessiert mich». Er sei bei seinen Forschungsarbeiten oft auf alte Bräuche gestossen, wo der Aberglaube eine Rolle spiele. Die Sagen seien für ihn interessante Quellen, die es zu bewahren gelte. Deshalb habe er bei seinen Berndeutschübersetzungen streng darauf geachtet, möglichst nah an der überlieferten Vorlage zu bleiben. «Ich bin kein Schriftsteller», erklärt Hans Minder trocken, «ich bin Sammler und Historiker. Von mir steht nichts in diesem Büchlein.» Nach jeder Sage gibt der Erzähler dann auch die Quellen an, auf die er sich stützte.



Ämmitau oder Ämmital?

Das einzige Zugeständnis, das der Oberemmentaler an das Berndeutsche Regelwerk macht, ist die Verwendung des Buchstabens «l». Das gesprochene «Ämmitau» wird bei Minder zum geschriebenen «Ämmital», eine Schreibweise, die zur besseren Lesbarkeit der Texte führt. Der spontane Erzählton, der im Büchlein herrscht, scheint mündlichen Schilderungen entnommen zu sein. Beim Aufschreiben seiner Mundarttexte liess sich der Autor keine grauen Haare wachsen. Über die kleinen Mängel wie Druckfehler und sonderbare Bindestriche («Pär-gamänt») schaut man angesichts der farbigen Erzählungen hinweg. Der positive Gesamteindruck des Bändchens erleidet dadurch keinen Abbruch.





Angaben zum Buch: «Ämmitaler Saage», verzellt vom Hans Minder. Verkaufspreis: 25 Franken, Versandkosten: 10 Franken. Bestellen unter Telefon 034 409 40 00, per Mail unter info@herrmann-druck.ch oder direkt am Schalter der Wochen-Zeitung abholen. Auch in einigen Buchhandlungen erhältlich.
09.12.2004 :: Bettina Haldemann-Bürgi (bhl)