Das Potenzial der Menschen wird gesehen

Das Potenzial der Menschen wird gesehen
Hakan Kurtogullari (links) mit Philipp Hugi, der Kartonkistchen für PB Swiss Tools zusammenbaut. / Bild: Remo Reist (rrz)
Oberburg: Die Bewo Genossenschaft feiert ihr 40-jähriges Bestehen. Menschen mit be­sonderen Bedürfnissen erhalten die Chance einer gezielten beruflichen Eingliederung.

Die Bewo Genossenschaft bietet in Oberburg 250 Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen berufliche Perspektiven. Begleitet werden sie durch 60 Fachpersonen mit überwiegend agogischem Hintergrund. Geschäftsführer ist seit 2008 Hakan Kurtogullari. «Es können junge Erwachsene mit psychischen Erkrankungen sein, die ihre Ausbildung in der freien Wirtschaft planen», berichtet Kurtogullari. «Auch Personen, die ihre definitive Berufswahl getroffen haben, jedoch ausserhalb des ersten Arbeitsmarkts noch eine gezielte Vorbereitung benötigen, sind hier richtig.» Nicht zu vergessen seien jene Menschen, die mit anderen gesundheitlichen Einschränkungen leben und für die der Erhalt des Arbeitsplatzes im Vor­dergrund stehe. «Manchen Personen steht ein eigener Coach zur Seite, in anderen Fällen werden bis zu zwölf Mitarbeitende durch eine Arbeitsagogin begleitet. Der Betreuungsschlüssel ist unterschiedlich, entsprechend viele Arbeitsfelder werden angeboten», führt Kurtogullari weiter aus, während er durch die klar strukturierten Werkstätten führt.


Dienstleistungen für die Wirtschaft

In der Holzfertigung entstehen etwa Vogelfutterhäuser. In anderen Abteilungen wird gedruckt, beschriftet, graviert oder bestickt - etwa Pokale oder Babynamen auf Badetücher für Visana. In der Werkstatt für Konfektionierung werden während des Rundgangs Kartonkistchen für PB Swiss Tools zusammengestellt. Das Dienstleistungsangebot umfasst zudem Mailing und Versand, Industriemontage, Metall- und Kunststoffbearbeitung, Lagerbewirtschaftung und Webshop, Lebensmittel- und Pharmaproduktion, Textil- und Näharbeit sowie Transport. «Wir sind sehr gut ausgelastet und für unsere Partner aus der Wirtschaft ein wichtiger Dienstleister», sagt Hakan Kurtogullari. Auffallend ist die Konzentration der Mitarbeitenden bei ihrer Arbeit. Der Umgangston ist wertschätzend, die Stimmung gut, die Motivation spürbar. «Seit dem Umzug 2019 in dieses von uns neu gebaute Gebäude kam es nie zu nennenswerten Konflikten», berichtet er erfreut. Die hohen Räume mit grossen Fenstern wirken einladend, der Geschäftsführer überzeugt mit seiner gelassenen, freundschaftlichen Art. Hier und dort führt er einen kurzen Schwatz - der Chef scheint überall gerne gesehen zu sein.


Der prägende Moment

Mit 30 Jahren bewarb sich Kurtogullari, ohne Vorkenntnisse über Beeinträchtigungen, als Leiter der Konstruktion im SAZ Burgdorf, das damals für seine Maschinenzeichner-Ausbildung für Menschen mit Beeinträchtigungen bekannt war. «Während des Bewerbungsprozesses sass ich zum ersten Mal mit Menschen mit ganz verschiedenen Beeinträchtigungen zusammen. Ein Mann, der vom Hals abwärts gelähmt war und einen Zeichnungsstift nur dank einer Klemmfunktion in den Händen halten konnte, erzählte offen und ehrlich von sich. Er sagte überglücklich, dass er im Sommer eine Zeichnerlehre anfangen könne. Da eröffnete sich eine neue Welt für mich. Mir war klar, dass ich mich von nun an für solche Menschen engagieren wollte.»


Integration im ersten Arbeitsmarkt

«Wir wollen allen ermöglichen, das Potenzial bei der Arbeit bestmöglich einzusetzen und sich je nach persönlichen Ressourcen und Fähigkeiten an einem angepassten Arbeitsplatz oder im ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.» Die Bewo verfügt über ein breites Netzwerk und unterstützt Firmen beim Erhalt oder der Schaffung von angepassten Arbeitsplätzen. «Wir entwickeln nötige Arbeitshilfen, um unsere Mitarbeitenden bei der Arbeit zu unterstützen.» Die in den letzten Jahren konsequent verfolgten Integrationsmassnahmen und das Coaching für den ersten Arbeitsmarkt hätten sich ausbezahlt. «Es gibt viele Firmen, die auf die Bewo zukommen und Menschen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt, auch nach einer Umschulung, ermöglichen», berichtet Kurtogullari. Die Vermittlung erfolge nicht auf gut Glück - dank regelmässiger Reflexions- und Standortgespräche sei die Vermittlungsfähigkeit nachweisbar.


Der Weg zur inklusiven Gesellschaft

Die Arbeit in der Bewo ist für Hakan  Kurtogullari auch eine Integration in die Arbeitswelt. «Damit der Weg in eine inklusive Gesellschaft gelingen kann, wird in der Bewo auf folgende Faktoren geachtet: Durchlässigkeit der Angebote, Angebotsvielfalt, Selbstbestimmung, Mitwirkung und Mitsprache.» Für die Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention sei die Mitarbeit von Integrationswerkstätten wichtig. «Noch wichtiger ist aber die Entwicklung im ersten Arbeitsmarkt in diese Richtung und eine Anpassung des Gesundheits-, Sozial- und Integrationssystems, in dem wir uns bewegen.»

24.04.2025 :: Remo Reist (rrz)