Mehr als Abfall

Mehr als Abfall
Wiederverwerten: über 50 Prozent des Siedlungsabfalls in der Schweiz werden separat gesammelt und wiederverwertet.Es gibt etablierte Sammlungen wie Papier, Glas und Pet, aber auch umstrittene wie Plastik.

Recycling ist in der Schweiz schon seit Jahrzehnten beliebt, begonnen hat es mit Glas, Papier und Textilien. In den 1990er-Jahren kamen Alu, Pet und Elektrogeräte dazu. Heute wird vor allem die Wiederverwertung von Kunststoff kontrovers diskutiert. Patrik Geisselhardt, Geschäftsführer von Swiss Recycling, nimmt dazu Stellung und schildert, wo Verbesserungspotenzial vorhanden ist. Swiss Recycling vertritt als Dachorganisation die Interessen der Schweizer Recycling-Systeme und setzt sich ein für Qualität, Transparenz und nachhaltige Entwicklung auf allen Recycling-Stufen.



Herr Geisselhardt, ist Abfall getrennt sammeln und wiederverwerten immer besser als ihn zu verbrennen? 

In den meisten Fällen lohnt es sich, die graue Energie zurückzugewinnen. Aber der tatsächliche Nutzen ist nicht bei allen Stoffen gleich hoch. Ziel ist ja, möglichst 100 Prozent im Stoffkreislauf zu halten.



Wo gelingt dies?

Eine Erfolgsgeschichte ist sicher das Pet-Recycling. Von einer Pet-Getränkeflasche wird praktisch 100 Prozent, inklusive Deckel, wiederverwertet. Einzig die Etikette geht verloren. Aus einem Grossteil des Recyklats entstehen neue Flaschen. Ebenfalls gut schneiden Plastikflaschen, beispielsweise von Milchprodukten oder Duschmitteln, ab. Diese werden, wie Pet auch, bei Grossverteilern gesammelt.



Wo ist die ökobilanz schlechter?

Grundsätzlich gilt: je gemischter das Sammelgut, desto höher die Kosten und geringer der ökologische Nutzen. Da stellt sich auch die Frage nach der Grenze der ökoeffizienz.



Etwa beim Sammeln von gemischtem Kunststoff wie Plastikverpackungen
aller Art. 

Der Aufwand, gemischte Kunststoffe zu rezyklieren, ist gross und manchmal auch nicht möglich. Eine Fleischverpackung beispielsweise kann sieben bis acht dünne Schichten unterschiedlichen Kunststoffs aufweisen, um das Produkt zu schützen. Solche Verbundstoffe sind – wenn überhaupt – nur unter grossem Energieaufwand zu trennen. Können sie nicht getrennt werden, ist ein Recycling nicht sinnvoll.



In manchen Gemeinden wird gemischtes Plastik aber gesammelt, und das erst noch gegen eine Gebühr.

Swiss Recycling ist nicht kategorisch gegen Plastiksammlungen. Wichtig ist dabei aber eine klare Kommunikation: Der Bürger und die Bürgerin sollen wissen, dass ein Teil des gesammelten Plastiks am Schluss verbrannt wird. Mit der Verbrennung wird ja immerhin auch Energie gewonnen, was wiederum öl spart. Wird das Plastik in einem Zementwerk verbrannt, ist der Wirkungsgrad sehr hoch und ersetzt Kohle.



In der Schweiz werden gemäss Bundesamt für Umwelt (Bafu) pro Jahr 780000 Tonnen Plastik als Abfall entsorgt, Tendenz steigend. Da würde sich doch ein Recycling-System aufdrängen?

Daran wird gearbeitet. Um die Kreislaufwirtschaft bei Kunststoff-Verpackungen zu fördern, haben sich Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette zur «Allianz Design for Recycling Plastics» zusammengeschlossen. Das ehrgeizige Ziel ist, dass bis 2025 praktisch 100 Prozent der Kunststoff-Verpackungen wiederverwertet werden können.



Auch der Konsument und die Konsumentin stehen in der Verantwortung, etwa indem sie beim Einkaufen auf die Art und Menge der Verpackung achten.

Generell ist das Vermeiden von Abfall natürlich sinnvoll und dort liegt noch ein grosses Potenzial. Man darf dabei aber die Relationen nicht verlieren. Viel mehr als die Verpackung gewichtet das Lebensmittel, das gekauft wird. Nehmen wir ein Rindsfilet: Dessen ökobilanz ist um ein Vielfaches schlechter als jene der Verpackung darum herum. Es gilt also vor allem beim Konsum anzusetzen. Mobilität, Wohnen und Konsum sind die wirklich grossen Hebel, um die Umweltbelastung zu reduzieren.



Womit auch das Thema Food Waste angesprochen wäre, und da ist definitiv jeder gefordert. 

Eine Kehrichtsackanalyse des Bafu (siehe Abbildung unten) hat aufgezeigt, dass mit dem Hauskehricht noch immer viel Grüngut entsorgt wird. Dabei ist der Anteil an Lebensmitteln hoch. Mehr als die Hälfte der im Kehrichtsack entsorgten Lebensmittel wären noch geniessbar. Hier besteht also tatsächlich Handlungsbedarf.



Trotz Verbesserungspotenzial bezeichnet das Bafu die Schweiz im internationalen Vergleich als eine der Spitzenreiterinnen im Recycling.

Die Quote konnte in der Tat von 45 Prozent im Jahr 2000 auf 53 Prozent im 2016 verbessert werden. Was auch wichtig ist: Nicht nur die Quote konnte gesteigert werden, sondern auch der Umweltnutzen. Dieser hat sich durch das Recycling seit 1992 um den Faktor 3,3 vergrössert.





Lesen Sie in der nächsten Ausgabe, wie es auf dem Entsorgungshof einer Gemeinde zu und her geht.



26.09.2019 :: Silvia Wullschläger (sws)