Abfall auf der Weide kann für Kühe tödliche Folgen haben
Emmental/Entlebuch: Dass Abfall nichts auf Wiesen zu suchen hat, ist klar. Trotzdem entsorgen manche Zeitgenossen den «Ghüder» auf diese Weise. Das ist für Kühe lebensgefährlich.
Das Leben von Tamina endete abrupt; sie musste im Juni letztes Jahr notgeschlachtet werden. Bauer Beat Leuenberger aus Gysenstein erinnert sich noch gut an diese Zeit. Ihr Zustand sei langsam schlechter geworden. Sie habe nicht mehr viel gefressen, «dabei war sie eine, die sonst alles ‹gschnouset het›», erzählt Leuenberger. Die Kuh war aufgebläht, im Pansen, dem grössten der drei Vormägen, sammelte sich Gas. Das Tier wirkte zunehmend apathisch. «Der Tierarzt kam mehrmals und behandelte sie. Er vermutete einen Abszess, verursacht durch einen scharfkantigen Fremdkörper», sagt der Landwirt. Ein Stück Eisen oder Metall konnte es nicht sein, denn alle Kühe von Beat Leuenberger tragen einen sogenannten Käfigmagneten im Magen. Dieser zieht metallische Gegenstände an, die so in das Innere des Käfigs gelangen. Auf diese Weise können Verletzungen etwa durch Nägel verhindert werden. «Aber bei anderen Dingen wie Alu, Plastik oder Glas funktioniert das natürlich nicht», sagt der Bauer.
Kalb noch zur Welt gebracht
Schliesslich musste Beat Leuenberger mit Tamina ins Tierspital fahren, wo man sie während einer Woche etwas aufpäppeln und stabilisieren konnte. Das war wichtig, denn sie war hochträchtig. Schliesslich brachte sie ein gesundes Stierkalb zur Welt. Das Muttertier erholte sich aber nicht mehr, drei Wochen später musste es geschlachtet werden. «Eine Operation wäre nicht nur teuer gewesen, sondern auch mit ungewissem Ausgang, denn der fussballgrosse Abszess befand sich an einer schwierigen Stelle», erzählt Beat Leuenberger. Tamina mit nur vier Jahren zum Metzger zu bringen, habe ihn geschmerzt. «Es war ein schönes Tier, sie hat im Herbst 2018 den Steinmann-Preis für die schönste Kuh in Konolfingen gewonnen.» Als kleiner Trost stehen noch zwei Töchter von Tamina im Stall.
Beim Mähen zerkleinert
Der frühzeitige Tod von Tamina ist kein Einzelfall. Tierarzt Bernhard Krähenbühl aus Langnau muss regelmässig Kühe auf Fremdkörper behandeln. Bei anderen Weidetieren wie Pferden, Ziegen oder Schafen sei die Gefahr viel kleiner. «Sie nehmen weniger Futter aufs Mal auf und bemerken so Fremdkörper bereits im Maul.» Krähenbühl weiss, dass bei der Schlachtung oft Gegenstände in Kuhmägen zum Vorschein kommen. «Der Abfall auf Weiden ist ein echtes Problem, insbesondere an stark befahrenen Strassen», stellt er fest. Besonders gefährlich seien Alu, etwa von Dosen, Glas und PET-Flaschen. Oft würden die Kühe die Fremdkörper nicht auf der Weide, sondern über das Futter wie Silage aufnehmen. «Beim Mähen werden die Gegenstände zerkleinert, sind aber immer noch einige Zentimeter gross und vor allem scharf», erklärt Bernhard Krähenbühl. Sie können im Netzmagen Verletzungen verursachen, was zu Abszessen und einer Bauchfellentzündung führen kann.
Schwierige Diagnose
Die exakte Diagnose zu stellen, sei oft nicht einfach, sagt der erfahrene Tierarzt. Es gebe zwar Indizien, aber die könnten auch auf andere Krankheiten hindeuten. Typisch sei, wenn das Tier beim Klopfen auf den Bauch oder Drücken auf den Rücken eine Schmerzreaktion zeige und zudem nicht gerne abwärts laufe. Auch Fieber und Blähungen kämen häufig vor. Weiter würden die Kühe weniger fressen und nicht mehr wiederkäuen, da ihnen dies Schmerzen bereite. Nebst der Untersuchung des Tieres gebraucht Bernhard Krähenbühl manchmal auch ein Ultraschallgerät, mit dem zum Beispiel Entzündungssymptome aufgezeigt werden können.
Bei der Behandlung setzt der Tierarzt zuerst einen Magneten ein, sofern die Kuh nicht schon einen solchen im Magen hat. Weiter wird gegen die Bauchfellentzündung Antibiotika und Schmerzmittel verabreicht. Auch eine Operation wäre möglich. «Dies wird bei uns aber nur noch selten durchgeführt, weil es relativ teuer ist und man keine Garantie hat, dass es gut kommt.» Oft schlage die Behandlung an, aber es komme immer wieder vor, dass man das Tier schliesslich erlösen müsse, so die Erfahrung von Krähenbühl.
Auch beim Schweizer Bauernverband ist man sich der Problematik des Abfalls auf Weiden bewusst. «Littering ist ein grosses Thema», weiss Mediensprecherin Sandra Helfenstein. Es bedeute für die Landwirte einen grossen Zusatzaufwand, die Weiden regelmässig zu säubern. Trotzdem sei das wichtig. «Liegt bereits Abfall herum, animiert das offenbar manche Menschen, ihren ‹Ghüder› auch dort zu entsorgen», sagt die Medienverantwortliche. Der Bauernverband
bietet Landwirten Tafeln an, die sie an gut frequentierten Strassen und Wegen aufstellen können. Allerdings müssten diese ab und zu verschoben werden, damit sich die Leute nicht daran gewöhnten. Manche Landwirte würden zudem den Abfall, den sie einsammeln, neben der Tafel in einem Drahtgeflecht sichtbar machen. «Es ist erschreckend, wie viel da zusammenkommt», sagt Sandra Helfenstein.
16.04.2020 :: Silvia Wullschläger (sws)