Nach seiner Pensionierung kann Ernst Flückiger wieder mehr Zeit beim Wandern und zu Hause geniessen. / Bild: Rebekka Schüpbach (srz)
Zollbrück: Während 32 Jahren prägte er die landwirtschaftliche Bildung und Beratung in der Schweiz mit. Nun ging der engagierte Lehrer, Berater und Coach des Inforama in Pension.
Bodenständig, europaweit vernetzt und immer offen für Neues. Ernst Flückiger ist eine Persönlichkeit, wie es sie nicht oft gibt. Als Bauernsohn aufgewachsen, machte er nach der Schule eine Lehre als Landwirt. Danach absolvierte Flückiger die Handelsschule, holte die Matura nach und studierte schliesslich Agronomie an der Eidgenössisch Technischen Hochschule ETH: «Meine Doktorarbeit machte ich an der Forschungsanstalt Liebefeld und wurde schliesslich vom Direktor nach Spanien geschickt, um diese dort an einer internationalen Tagung vorzustellen», erzählt der 65-Jährige. An dieser Tagung knüpfte er die ersten Kontakte zu landwirtschaftlichen Kreisen aus ganz Europa, die zum grossen Teil bis heute Bestand haben. Seine damalige Doktorarbeit dient seither den Landwirten europaweit als Grundlage für die Berechnung von Hofdünger-Richtwerten. Mit Hilfe dieser Werte können die Bauern die optimalen Gaben an Mist und Gülle für ihre Pflanzenkulturen ermitteln.
Vom Hellraumprojektor zu Power-Point
1988 kam Flückiger als Lehrer für Futterbau und Berater an die damalige Landwirtschaftliche Schule auf der Bäregg, 1996 wurde er deren Vorsteher. «Die meisten meiner Schüler hatten damals die Rekrutenschule bereits hinter sich», erinnert sich Ernst Flückiger. «Sie verfolgten oft konkrete Ziele, beispielsweise wollten sie demnächst den elterlichen Hof übernehmen.» Heute sei dies etwas anders. Die dreijährige Ausbildung zum Landwirt oder zur Landwirtin beginnt bereits nach Ende der obligatorischen Schulzeit. Jüngere Schüler hätten naturgemäss oft noch andere Prioritäten. Positiv findet der langjährige Lehrer, dass heute mehr junge Frauen diese Ausbildung anpacken. Mehr Frauen sorgten in der Klasse für eine ausgeglichenere Dynamik. «Jungs mit traditionellem Rollenbild werden manchmal eines Besseren belehrt», schmunzelt Flückiger. Vielfältiger seien auch die heutigen technischen Möglichkeiten. Statt, wie früher mit dem Hellraumprojektor wird heute mit Beamer und Power-Point-Präsentationen gearbeitet. Allerdings müsse man hier aufpassen, nicht zu viel darauf zurückzugreifen, da es auf eine Übersättigung von Informationen herauslaufen könne. «Das entdeckende Lernen anhand von Fallbeispielen und Gruppenarbeiten kommt leider manchmal zu kurz», hat Flückiger beobachtet. «Nach zwölf Minuten sollte man als Lehrer aufgrund der Gehirnphysiologie jeweils den Unterrichtsstil ändern.».
Bauern mit Bauern vernetzen
Nicht nur für angehende Landwirte, sondern auch für erfahrene Berufsleute setzte sich Flückiger stets ein. So gründete er 2001 die schweizweit ersten Arbeitskreise für Bauern. «Auf diese Weise können sich die besten Landwirte untereinander austauschen», erklärt Flückiger. Geleitet wird jeder Arbeitskreis von einem Moderator, der sich aber fachlich so wenig wie möglich einbringt. «Erfahrene Landwirte sind den Experten meist einen Schritt voraus», beschreibt Flückiger den Grund. Nebst dem Austausch von Erfahrungen würden beispielsweise Vollkostenrechnungen erstellt. So könne ein Landwirt sehen, ob seine Arbeit überhaupt rentiere. Denn viele seien trotz hoher Arbeitsbelastung finanziell am Anschlag. Eine Vollkostenrechnung kann die Gründe dafür offenlegen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen. Heute reiche es nämlich nicht mehr, einfach ein paar Kühe zu halten. «Jeder Bauer muss heute ein Unternehmer sein», weiss Ernst Flückiger. Der wirtschaftliche Druck sei enorm hoch geworden. Deshalb empfehle er auch Zweitausbildnern möglichst die ganze Berufslehre zu absolvieren. Dies, obwohl es Flückiger selbst war, der vor mehreren Jah-
ren die Nebenerwerbskurse, auch «Schnellbleiche» genannt, initiiert hatte. «Ursprünglich haben wir diese abgekürzte Ausbildung für angehende Betriebsleiter kleinerer Bergbauernbetriebe ins Leben gerufen», so Flückiger. Wer einen solchen Kurs absolviert, bekommt das minimale theoretische Rüstzeug für die Leitung eines Landwirtschaftsbetriebes und kann Direktzahlungen beantragen. Doch für grössere Betriebe sei eine normale Ausbildung in jedem Fall sinnvoller.
«Bauern sind an allem schuld»
Für Ernst Flückiger ist der Beruf des Landwirts einer der schönsten überhaupt. «Er ist vielseitig, man ist selbstständig und gerade für Kinder ist es ideal, so aufzuwachsen.» Doch in den letzten Jahren sei nicht nur der wirtschaftliche Druck enorm gestiegen, sondern auch der gesellschaftliche. «Momentan sollen die Bauern für alles schuld sein: Für die Trinkwasserverschmutzung, Luftverschmutzung und das Insektensterben», ereifert sich Flückiger. Studien belegten aber beispielsweise beim Insektensterben, dass auch die «Lichtverschmutzung» den nachtaktiven Insekten mehr und mehr zusetze. «Ich bin überzeugt, dass es jeder Bauernfamilie ein Anliegen ist, Natur und Umwelt intakt und gesund zu erhalten, so dass auch die nächste Generation ein gutes Leben haben und gesunde Nahrungsmittel produzieren kann», so Flückiger.
Die richtigen Fragen stellen
In seiner Tätigkeit als Berater besuchte Ernst Flückiger oft die Bauernfamilien auf deren Betrieben. In den letzten 20 Jahren ist ihm aufgefallen, dass der Grund, weshalb die Landwirte auf ihn zukamen, vermehrt mit Problemen in der Partnerschaft und Familie zusammenhingen. «Manchmal kamen diese erst beim Kaffeetrinken zum Vorschein», berichtet der Berater. Eine funktionierende Paarbeziehung sei unter anderem essenziell für den Geschäftserfolg eines Betriebes. Nicht zuletzt deshalb, weil vielerorts die Partnerin die Büroarbeit erledige und nicht selten die Finanzen besser im Griff habe als der Mann. Um besser Hand bieten zu können absolvierte Ernst Flückiger die Ausbildung zum Coach IOBC (International Organization for Business Coaching). «In der Funktion als Coach kommt es in erster Linie darauf an, die richtigen Fragen zu stellen», erklärt Ernst Flückiger. Die Lösung fänden die Betroffenen auf diese Weise meist selber. Wichtig sei jedoch, vorhandene Probleme anzupacken. «Sie aufzuschieben bringt nichts.»
«Ich freue mich auf mehr Freiheit»
Auch Flückiger hatte in seinem Leben einige Hürden zu überwinden. 2001 erlitt er ein Burnout und 2014 machte eine Krebserkrankung seinen Plänen einen Strich durch die Rechnung. Vor zwei Jahren musste der sportliche Mann zudem eine Rückenoperation über sich ergehen lassen.
Jetzt ist Flückiger wieder voller Pläne. Zwar bleibt er dem Inforama, wie die damalige Landwirtschaftliche Schule heute heisst, weiterhin zu 20-30 Stellenprozent als Coach erhalten, aber er freut sich auch auf mehr Freiheit. «Zusammen mit meiner Frau möchte ich mehr wandern und biken, mit meinen acht Enkeln «lölen» und nicht zuletzt freue ich mich darauf, meinem Bruder wieder mehr auf dessen Landwirtschaftsbetrieb zu helfen».