«Die Leute sollen stolz darauf sein, Romanisch zu sprechen!»

«Die Leute sollen stolz darauf sein, Romanisch zu sprechen!»
Die Kinder Anna und Marco Spinas wachsen zweis-prachig auf – auch mit romanischen Kinderbüchern. / Bild: Karin Schnider (kas)
Schüpfheim: Seit 25 Jahren ist Rätoromanisch eine Teilamtssprache der Schweiz. Von allen vier Landessprachen wird sie am wenigsten gesprochen – hat aber den grössten Charme!

Vor vier Jahren ist die Familia Spinas von Davos nach Schüpfheim gezogen und hat hier eine Reitschule eröffnet. Auf die Frage, was sie am meisten aus ihrer Heimat vermisse, antwortet die 42-jährige Carmen Spinas sofort: «Das Romanische!» Aufgewachsen ist Carmen Spinas in der Oberhalbsteiner Ortschaft Tinizong – ihre Muttersprache ist Surmiran. Das ist neben Sursilvan, Sutsilvan, Puter und Vallader eines der fünf Idiome, in die das Rätoromanische unterteilt wird. 

Die Muttersprache nicht aufgegeben

Nach der obligatorischen Schulzeit, in der sie ab der vierten Klasse Deutsch lernte, besuchte Carmen Spinas das Lehrerseminar in Chur. Dort war sie in einer romanischen Klasse, in der Studentinnen und Studenten aller fünf Idiome vertreten waren. Ganz selbstverständlich haben sie miteinander Romanisch gesprochen. Als sie dann letztes Jahr ein Klassentreffen besuchte, sei sie schockiert gewesen, wie wenige überhaupt noch Romanisch sprachen. «Viele sind weggezogen und haben Partner, die nicht Romanisch sprechen», sagt Spinas. Da sei es halt die bequemere Variante, dass man in Deutsch miteinander kommuniziere. Doch auch sie hat einen Partner, der nicht Romanisch spricht – auch sie ist weggezogen – und dennoch hat sie ihre Muttersprache nie aufgegeben. 

Rumantsch Grischun: Retter in Not?

Als das Romanische vor 25 Jahren zur Teilamtssprache erklärt wurde, änderte sich vorerst nicht viel. Nach fast zehn Jahren versuchte der Bund mit der Einführung des vereinheitlichten «Rumantsch Grischun», die rückläufigen Sprecherzahlen abzufangen und das Romanische zu retten. Der Nachteil daran: Das «Rumantsch Grischun» ist eine neue Sprache, die aus den fünf Idiomen zusammengewürfelt wurde und nur schriftlich gebraucht wird. Die Meinungen dazu waren von Anfang an gespalten. Besonders, als es an den Schulen als offizielle Schriftsprache eingeführt wurde, was sich aber nicht flächendeckend durchsetzen konnte. 

Carmen Spinas verteidigt ihre Muttersprache schon seit jeher. Wann und wo es geht, spricht sie Romanisch. Auch ihre Kinder Marco und Anna wachsen zweisprachig auf: Romanisch und Deutsch. Erst kürzlich hat Spinas alte SJW-Hefte auf Surmiran gefunden, die sie ihren Kindern nun vorliest. Ihr Mann Claudio, der in Chur aufgewachsen ist, spricht kein Romanisch. «Da Carmen mit den Kindern aber ausschliesslich Romanisch spricht, verstehe ich langsam auch immer mehr», erklärt er. 

Seit dem 19. Jahrhundert sinkt die Zahl von Romanisch Sprechenden laut Lia Rumantscha, dem Dachverband für die Romanische Sprache, stetig. Verschiedenste Faktoren begünstigen diesen Rückgang. Zum einen die Abwanderung von Jungen, die Zuwanderung von Anderssprachigen, denen sich die Romanisch Sprechenden anpassen, aber auch der Einfluss unterschiedlichster Medien in Deutsch. «Manchmal zeigen sie Beiträge im Fernsehen, wo ältere Romanisch Sprechende zu Wort kommen. Die können manchmal kaum Deutsch – weil diese Generation es halt nicht gelernt hat», führt Spinas aus. Das präsentiere dann ein negatives Bild, wodurch es so scheine, als ob die Romanisch Sprechenden hinter dem Mond leben würden – was ja überhaupt nicht stimme. Das hemme einige möglicherweise zusätzlich, Romanisch zu sprechen.

Ein Stück Schweiz würde fehlen

Für Carmen Spinas ist klar: Würde das Romanisch aussterben, würde ein wichtiges Stück Schweizer Geschichte verloren gehen. 

Doch was gibt es für Möglichkeiten, das zu verhindern? «Das Romanische muss auch für die jüngeren Generationen wieder attraktiver gemacht werden. Dazu braucht es mehr Präsenz in den Medien oder auch eine grössere Präsenz in den Deutschschweizer Lehrmitteln», ist Carmen Spinas überzeugt. Doch das allerwichtigste sei: «Die Leute sollen wieder stolz darauf sein, Romanisch zu sprechen!»

22.04.2021 :: Karin Schnider (kas)