«Silver» lebt derzeit in der Mutterkuhherde von Peter Haldemann in Bowil. Er hat den Muni für einige Monate gemietet. / Bild: Bruno Zürcher (zue)
Emmental/Entlebuch: Bei der Haltung von Stieren besteht immer ein Restrisiko.
Um die Tiere führen zu können, ist ab einem gewissen Alter ein Nasenring unabdingbar.
«Hie isch ds Muneli», sagt Hans Bichsel und weist mit der Hand auf das linke Läger. «Muneli» ist zwar etwas untertrieben, denn auf dem ersten Platz liegt der rund anderthalbjährige Stier Linus, welcher nicht mehr klein, aber auch noch nicht ausgewachsen ist. Er dreht nur kurz den Kopf, um den Besucher zu beäugen, ehe er mit dem Wiederkäuen fortfährt. Der Stier lebt seit September auf dem Hof der Bichsels. Hans Bichsel hat den Betrieb längst seinem Sohn Christian übergeben, packt aber immer noch gerne mit an. Was die Betreuung von Stieren anbelangt, kann Hans Bichsel auf einen grossen Erfahrungsschatz zurückgreifen.
«Fors vor Lueg» griff einmal an
Auf dem Hof Oberspach bei Ranflüh lebten immer Munis. Hans Bichsel sah mehrere Dutzend Stiere kommen und gehen – der bekannteste von ihnen war sicher «Fors vor Lueg», der Siegermuni des Eidgenössischen Schwingfestes 2013. «Dieses Beispiel zeigt auch, dass bei einem Muni immer ein gewisses Restrisiko dabei ist», hält Bichsel fest. «Ich weiss noch heute nicht, warum das passiert ist.» Der rund 1200 Kilogramm schwere Muni drückte seinen Betreuer an ein Gitter, als dieser ihn dort anbinden wollte. Um das Seil des Halfters an die Röhre knoten zu können, habe er den Nasenring für einen kurzen Moment losgelassen. «Das war der Fehler», erklärt er. Der Muni habe eigentlich gar nicht sehr aggressiv reagiert, sondern seinen Betreuer «nur etwas» gestossen – Bichsel brach sich mehrere Rippen, Splitter drangen in die Lunge ein. Ein Kollege, der Bichsel half, konnte den Muni glücklicherweise wegziehen. Wie geht es ihm heute? «Gut. Ich habe keine Schmerzen mehr», meint der 66-Jährige. Hat er nie daran gedacht, mit der Munihaltung aufzuhören? «Nein, eigentlich nie», meint Bichsel ohne zu Zögern. «Wenn man das Muni-Feeling einmal hat, hört man so schnell nicht auf.»
Regelmässig mit dem Muni trainieren
Auf was kommt es besonders an? «Wichtig ist sicher, dass man sich genügend Zeit nimmt, die Tiere zu betreuen und zu beobachten. Das ist nicht nur bei den Munis so, sondern auch bei den Kühen.» Diese Zeit fehle heute oft, weil die Betriebe immer grösser und die Zeit immer knapper werde. «Um beispielsweise einen Muni an einer Ausstellung oder einem Markt aufführen zu können, muss man regelmässig mit ihm trainieren», stellt Bichsel klar. Er müsse sich an fremde Geräusche und die Situation gewöhnen, fern vom Stall zu sein.
Eine Angewöhnungszeit brauchen die Zuchtstiere auch nach dem Einsetzen des Nasenrings (siehe Kasten). «Man kann also einen Muni nicht heute ringen lassen und dann meinen, in drei Tagen könne man ihn vorführen», sagt Bichsel. «Das ist wie bei einem Ohrring bei uns. Am Anfang tut es etwas weh, mit der Zeit vernarbt das Gewebe. Der Muni muss aber später wissen, dass der Ring seine Wirkung hat, deshalb muss man mit den Stieren trainieren.»
Der Muni der Bichsels gehört zur Rasse Swiss Fleckvieh und damit zu den Milchrassen. Dort ist die Zahl der Zuchtstiere konstant, wie aus den Erhebungen von Swiss Herdbook hervorgehen. Eine leicht steigende Tendenz ist hingegen bei den Mastrassen festzustellen, wie die Zahlen des Verbands Mutterkuh Schweiz zeigen. Im Jahr 2020 waren dort schweizweit rund 3200 Stiere registriert.
Einen Muni für ein paar Monate mieten
Einer von ihnen ist «Silver». Der Stier der Rasse Limousin lebt auf dem Betrieb von Peter Haldemann in Bowil. Der Landwirt hat den Stier aus einem einzigen Grund angeschafft: Damit seine rund 30 Mutterkühe trächtig werden. Haldemann ist mit dem Stier sehr zufrieden. «Er erledigt seine Arbeit und ist im Umgang sehr angenehm. Mir gegenüber reagiert der Muni eher scheu. Ich striegle ihn regelmässig, damit er mich kennt», berichtet Haldemann. Seit Herbst lebt «Silver» auf Haldemanns Hof. Der Landwirt hat den Stier aber nicht gekauft sondern nur gemietet von der Viehhandelsunternehmung Vianco.
«Wir bieten das seit mehr als zehn Jahren an», erklärt Urs Jaquemet von der Vianco. Obwohl die Stiere pro Jahr oft auf mehreren Betrieben eingesetzt werden, würden sie nur ganz selten schlechte Erfahrungen machen. Jaquemet führt das darauf zurück, dass die Munis bereits in einer Herde zur Welt kommen und als Kälbchen von ihren Müttern umsorgt werden. Daher lernen sie ganz natürlich das Gefüge innerhalb der Herde kennen», erklärt Jaquemet. Beim Milchvieh fehle dies oftmals, dafür sei der Bezug Mensch-Tier stärker.
Einen Muni in der Herde zu haben, birgt auch für die Kühe ein gewisses Risiko. «Es kann vorkommen, dass eine Kuh ausrutscht, wenn der Muni sie bespringt», berichtet Peter Haldemann. «Die Gefahr des Ausrutschens ist in einem Laufstall grundsätzlich höher – auch wenn diese Haltungsform generell tiergerechter ist.» Weil «Silver» noch nicht ganz ausgewachsen ist, wiegt er auch noch etwas weniger, was seinen Kuhdamen zu gute kommt.
Jeder Stier hat seine Persönlichkeit
Urs Jaquemet bestätigt, dass das zu hohe Gewicht oftmals ein Killerkriterium für das Vermieten darstelle. Zwei- bis dreijährige Stiere seien besonders beliebt. «Wir haben aber auch siebenjährige Stiere, welche nach wie vor im Einsatz sind.» Und der Charakter? «Das ist ein wichtiger Punkt. Stiere, die wir vermieten, sind den Umgang mit Menschen gewohnt, sind geringt und können teilweise auch am Halfter geführt werden.»
Jeder Stier habe eine eigene Persönlichkeit. «Manche brauchen zwei, drei Tage bis sie sich in der Herde zurechtfinden. Das braucht auch Geduld vom Landwirten. Selten kommt es vor, dass der Stier in der neuen Herde gestresst reagiert und dann ausgewechselt werden muss.»
Ein Wechsel ist für Peter Haldemann kein Thema. Weil sich «Silver» bestens um seine Kuhdamen kümmert, muss der Landwirt nicht ständig acht geben, ob eine Kuh brünstig wird. Der Landwirt überlegt sogar den Stier zu kaufen statt nur zu mieten. Weil er keine Kühe selber züchtet besteht auch nicht die Gefahr von Inzucht.
Silver nimmt das alles gelassen. Er steht im Laufhof vor dem Stall mitten in «seinen» Kühen, reckt ab und an die Nase in die Höhe, um zu riechen, ob nicht bald wieder eine brünstig wird.