Willkommen im Hindutempel

Willkommen im Hindutempel
Der Blick ins Innere des Tempels. Stühle braucht es keine; Hindus sitzen während den Zeremonien auf dem Boden. / Bild: Markus Zahno (maz)
Bärau: Im Emmental wurde 1985 der schweizweit erste Hindutempel eröffnet. Mittlerweile ist er im Schärischachen eingerichtet. Der Besuch im Innern ist ein Erlebnis.

Das Gebäude steht mitten im Industriegebiet Schärischachen bei Bärau, umrahmt von Autohändlern, Holzbaufirmen, einem Pneuservice, einer Ofenfabrik und mehreren Läden. Die Fassade ist aus rotem und silber-grauem Blech, die Fenster sind grossflächig. Ein typisches Industriegebäude halt.

Bei genauerem Hinsehen unterscheidet es sich aber durchaus von den umliegenden Gebäuden. Das Eingangsportal ist aufwändig verziert; Hauptmotiv ist Ganesha, der elefantenköpfige Gott der Hindus. Wer durch das Portal schreitet, betritt eine Welt, die viele Menschen hierzulande höchstens vom Hörensagen kennen: einen Hindutempel. Schweizweit gibt es rund 30 von ihnen. Jener im Emmental war der erste: 1985 wurde er in einem Asylzentrum in Langnau eingerichtet, dann zweimal gezügelt, und seit 2010 befindet er sich am heutigen Standort im Schärischachen.


Millionen Götter

«Die Schuhe können Sie hier deponieren», sagt Jayantha «Jena» Nathan beim Eingang. Die 37-jährige Langnauerin führt regelmässig Besuchergruppen aus anderen Konfessionen durch den Hindutempel. Diesem Nachmittag findet eine Führung statt, welche die reformierte Kirchgemeinde Langnau organisiert hat.

Das Innere des Tempels ist ein einziger grosser Raum. Stühle hat es keine, denn Hindus sitzen während den Zeremonien auf dem Boden. Im Raum verteilt sind ein halbes Dutzend Altare – bunt verzierte Häuschen mit Götterstatuen in der Mitte. «Wir haben Millionen verschiedene Götter», erklärt Jena Nathan. Drei sind die Hauptgötter: Brahma (der Schöpfer der Welt), Vishnu (der Erhalter) und Shiva (der Zerstörer). Die Böden und Wände der Altar-Innenräume sind mit Plättli versehen, zum Teil ist auch ein Wasserhahn installiert. Vor der Zeremonie werden die Götter vom Priester nämlich gewaschen.

Der heilige Tag der Hindus ist der Freitag, entsprechend finden die wöchentlichen Zeremonien – die Pujas – jeweils am Freitagabend statt. Es seien bunte und laute Abende, und nach der Zeremonie werde gemeinsam gegessen, erzählt Jena Nathan.


Zwei Kulturen

Die Langnauerin gibt spannende Einblicke in die hinduistischen Traditionen. Ebenso spannend ist ihre eigene Lebensgeschichte: Der Vater kam Mitte der 1980er-Jahre in die Schweiz. Die Mutter, damals schwanger mit ihr, blieb in Sri Lanka. Erst sieben Jahre nach der Geburt kamen Mutter und Kind in die Schweiz – erst da lernte Jena Nathan ihren Vater kennen. «Anfangs habe ich ihn Onkel genannt», sagt sie. Eine spezielle Situation sei das gewesen.

Nach der Jugendzeit im Kanton Aargau machte Jena Nathan eine KV-Lehre, zügelte ins Emmental und heiratete ihren Mann Parthiban. Die beiden haben drei Kinder, 14-, 12- und 8-jährig. Hauptberuflich arbeitet Jena Nathan als Pfarreisekretärin der katholischen Kirchgemeinde Langnau.

Die christliche und die hinduistische Kultur hätten durchaus Gemeinsamkeiten, sagt Jena Nathan. Ein paar Beispiele: Kinder kommen 41 Tage nach der Geburt erstmals in den Hindutempel; ähnlich wie die Taufe bei den Christen. Für die Mädchen findet nach der ersten Menstruation ein grosses Fest statt, das den Übergang ins Erwachsenenalter markiert; ähnlich wie die Firmung respektive Konfirmation. Auch feiern die Hindus ein Lichterfest; ähnlich wie eine Rorate-Messe der katholischen Kirche.


Ein Ziel

Betrieben wird der Hindutempel im Schärischachen vom Verein Sri Vinayakar. Der Vorstand wechselt von Jahr zu Jahr, aktuell hat Neethirajah Thillayampalam den Vorsitz. Er ist bei der Führung ebenfalls zugegen, macht ab und zu eine Ergänzung. Eines der wichtigsten Ziele des Vereins sei es, «das Verständnis zwischen den Tempelbesuchern und den restlichen Bevölkerungsgruppen» zu fördern, heisst es in den Statuten, die in tamilischer und deutscher Sprache eingerahmt an der Wand hängen.

Dieses Ziel hat der Nachmittag zweifellos erreicht. Nach der Führung spenden die Besucherinnen und Besucher Jena Nathan und Neethirajah Thillayampalam Applaus. Man plaudert noch ein wenig, zieht dann die Schuhe wieder an – und kehrt zurück in die bekannte Umgebung des Industriegebiets Schärischachen.

25.08.2022 :: Markus Zahno (maz)