Hunderte Schläge für einen hellen Klang

Hunderte Schläge für einen hellen Klang
Um das zwei Millimeter dünne Blech bearbeiten zu können, muss es erhitzt werden. / Bild: Bruno Zürcher (zue)
«Wieder entdeckt»: Treicheln gerieten mehr und mehr in Vergessenheit. Nun erleben sie eine Renaissance, so dass gar neue Treichelschmitten gegründet werden. Wie jene von Fritz und Käthi Gerber aus Eggiwil.

Fritz Gerber hat alle Hände voll zu tun. 28 Treicheln der Grösse 10 hat er derzeit zu fertigen. Für den Treichelschmied, der 2019 sein Hobby zum Beruf machte, ist das ein grosser Auftrag. Auch seine Frau Käthi packt mit an. Sie reinigt die Rohlinge in der Sandstrahlanlage, aber dazu später mehr. 

Der Schmied hat eine Hälfte eingespannt und erwärmt diese mit dem Gasbrenner. Wenn das zwei Millimeter dünne Blech, es handelt sich um eine spezielle Legierung für Treicheln, sich orange zu färben beginnt, treibt er das Metall mit speziellen Hämmern in die Form. Die Arbeit ist streng, denn Gerber führt jeden Schlag von Hand aus. Am Ende zeugen tausende kleine Dellen im Innern der Treichel von dieser Arbeit. Ist das Metall nicht mehr heiss genug,  beginnt der Vorgang von vorne. So formt er aus einer flachen, zugeschnittenen Platte in mehreren Stunden eine halbe Treichel. 

Bestellt hat die Treicheln ein Viehzuchtverein, der ein Jubiläum feiern kann. «Aber auch sonst sind Treicheln wieder mehr gefragt», berichtet Fritz Gerber. «Kürzlich konnten wir drei Treicheln liefern, die sich Mädchen zu ihrer Konfirmation gewünscht haben. Wir haben auch sehr treue Stammkunden.» Einst war ein Geläut für die Sennen unentbehrlich, um das Vieh überwachen zu können. Im 20. Jahrhundert übernahmen elektrische Viehhüter diese Arbeit. Immer weniger Bauern zogen ihrem Vieh Treicheln oder Glocken an. Manche taten das auch nicht mehr, weil die Tiere bereits ein Halsband trugen, das mit moderneren Ställen aufkam. Geblieben ist die Tradition besonders auf den Alpen. Für die Alpauffahrt und die Heimkehr im Herbst tragen viele Tiere Treicheln und Glocken. 


Viele Kunden sprechen französisch

Wer nun aber denkt, dass die Gerbers den Grossteil ihrer Treicheln an Emmentaler Viehzüchter und Älpler absetzen, der irrt. «Rund 70 Prozent dürfen wir in die welsche Schweiz und angrenzende Gebiete von Frankreich, vor allem Savoyen, liefern», erklärt Kathrin Gerber, und ihr Mann ergänzt: «Dort ist diese Tradition auch sehr stark ausgeprägt.» Er kennt einen Bauern, der für jede seiner 50 Kühe eine individuelle Treichel angeschafft hat, um auf die Alp zu ziehen. So erstaunt es nicht, dass die Gerbers am dreitägigen Glocken- und Treichelmarkt im waadtländischen Romainmôtier von Mitte Oktober mit einem Stand präsent sind. «Zum Glück spricht meine Frau ziemlich gut französisch», meint der Treichelschmied und lacht. «Ich selber musste mir erst ein paar Sachbegriffe beibringen, um mitreden zu können.» 

Dass die Treicheln aus dem Eggiwil in der Romandie auf grosses Interesse stossen, liegt mitunter auch daran, dass Gerber die Treicheln in einem Stil herstellt, wie es ihn in der Romandie seit Langem gibt. «Unsere Treicheln sind roh, das heisst, nicht schwarz eingefärbt», beschreibt Fritz Gerber. 


«Seine» Treichelform finden

Die Form hat Fritz Gerber eigenständig entwickelt. Seine erste Treichel hat er vor rund zehn Jahren geschmiedet. «Ich hatte schon vorher Treicheln und Glocken gesammelt, obwohl ich nie Tiere hatte, denen ich diese hätte anziehen können», berichtet der Bauernsohn. In seiner Sammlung kann man Exemplare aus der ganzen Schweiz bestaunen, unter anderem Schangnauer Treicheln von 1780. «Dann wollte ich selber probieren, eine Treichel zu schmieden», berichtet Gerber und muss bei der Erinnerung an die ersten Versuche schmunzeln. Treicheln werden meist in eine Form, ein sogenanntes Gesenk, geschmiedet. Sein erstes habe er aus Beton gegossen. Das Material war den Hammerschlägen auf die Dauer nicht gewachsen. Heute stehen in der Schmiede, im Untergeschoss der einstigen Sägerei Grosstannen, sieben verschiedene Gesenke. Diese tragen die Nummern 3, 4, 7, 9 sowie 10 bis 12. Bei den Nummern verhält es sich wie bei den Kleidergrössen: je höher, desto grösser. «Die 3 und die 4 sind klassische Weidetreicheln», erklärt Gerber, «die grösseren sind Zügeltreicheln für die Auf- und Abfahrten.» Diese haben auch oft verzierte Riemen, welche die Gerbers aber nicht selber herstellen. Sie würden mit verschiedenen Sattlern und auch Schnitzerinnen zusammenarbeiten. 


Putzen und bürsten

Die beiden Hälften müssen haargenau aufeinanderpassen. Dann schweisst der Schmied die beiden Teile von innen wie von aussen zusammen, fügt den Bügel für den Riemen und innen jenen für den Kallen ein. Um die Öffnung besonders stabil zu machen, verbindet er dort die beiden Hälften mit je zwei Nieten. Auch hier hat Gerber seinen ganz eigenen Stil entwickelt: Mit dem Hammer schlägt er auf die Köpfe der Nieten drei gleichmässige Flächen. 

Dann bearbeitet Käthi Gerber die Treichel mit dem Sandstrahler. Das Metall erhält dadurch eine matte Patina. Mit einer rotierenden Drahtbürste wird ihr dann wieder Glanz verliehen. Nun gilt es noch den Kallen einzusetzen – und fertig ist die Treichel. Fritz Gerber schlägt sie an und nickt zufrieden: «Tönt schön hell und lange.» 

29.09.2022 :: Bruno Zürcher (zue)