Holzschindeln sind wieder in

Holzschindeln sind wieder in
Feinjährige Stämme ­werden für die Schindeln ­verwendet. Viele werden traditionell von Hand ­gespalten. Auch das ­Sortieren und Bündeln ist Handarbeit. Schindeln für Fassaden werden zum Teil vernäht, damit die Montage einfacher wird. / Bild: Bettina Haldemann-Bürgi (bhl)
«Wieder entdeckt»: In der Holzschindelfabrik in Escholzmatt werden nach einer langen Pause wieder Holzschindeln in grossen Mengen hergestellt – maschinell wie auch von Hand.

«Schindelfabrik.» Wer auf der Hauptstrasse von Wiggen nach Escholzmatt fährt, hat das Schild schon gesehen. Es prangt an einer alten Schindelfassade und wirkt wie aus der Zeit gefallen. Seit 1918 stellt die Josef Bucher AG in Escholzmatt aus Holz Schindeln her. Nachdem in den Fünfzigerjahren Eternit die Holzschindel verdrängt hatte, setzte in den Achtzigerjahren die Kehrtwende ein. Ökologische Gründe und junge Architekten, die den Werkstoff neu entdeckten, führten zu einer steigenden Nachfrage, so dass die Holzschindelfabrik wieder voll betrieben werden konnte. Heute preist die Josef Bucher AG ihre Holzschindeln in einem mehrseitigen Farbkatalog an.


Die Suche nach feinjährigem Holz

Bei unserem Besuch ist die Arbeit in vollem Gang. Auf dem gedeckten Vorplatz wird ein Stamm in die Länge der späteren Schindeln gesägt. Firmenchef Hansjörg Bucher erklärt: «Das ist Fichtenholz. Die Rottanne stammt aus der Umgebung, aus der Bio-sphäre Entlebuch und aus dem Emmental. Dabei arbeiten wir mit Waldbesitzern zusammen, die bereits mein Grossvater kannte. Die Lärche, das zweite bevorzugte Holz für Schindeln, beziehen wir aus dem Wallis und dem Graubünden».

«Um das Haus wetterfest zu machen, muss das Holz feinjährig sein. Ein Baum bildet jedes Jahr einen Jahrring aus weichem Frühholz und hartem Spätholz. Die Breite des Frühholzes variiert, die Breite des Spätholzes bleibt gleich. Das weichere Frühholz wettert mit den Jahren schneller ab. Des-wegen bevorzugen wir feinjähriges Holz, das langsam gewachsen ist. Und solches wächst vor allem oberhalb 1200 Metern über Meer. Deshalb verwenden wir ausschliesslich Gebirgsholz für die Schindeln.»


Maschinell geschnittene Schindel

Nun betreten wir eine grosse Werkhalle. «Hier fabrizieren wir die maschinell geschnittenen Schindel, die vor allem für Fassaden verwendet werden», erklärt Bucher. «Wir sagen maschinell, trotzdem steckt viel Handarbeit darin». An einem rotierenden Rundmesser schneidet ein Mann aus Holzklötzen fünf Millimeter dünne Scheiben, die Schindeln. In der Stanzmaschine werden die rechteckigen Schindeln in die gewünschte Form gestanzt. Beliebt sind die Rundschindeln, welche die Form von Schuppen haben. Drei Frauen arbeiten hier. Sie betätigen den Hebel der Stanzmaschine von Hand, schichten die Schindeln auf und machen daraus 500er-Bündel. Auf einer Spezial-Nähmaschine nähen sie einen Teil der Schindel reihenweise horizontal zusammen, um die Montage später zu erleichtern.

Zurück beim Eingang hält Bucher ein grosses Holzspaltstück in die Höhe. «Eine Müsele», sagt er, einen alten Ausdruck nennend. «Nicht jedes Holz lässt sich so schön spalten», sagt er und zeigt auf mehrere gefüllte Gitterkörbe, in denen sich Astholz, Baumrinde und krumm gewachsenes Holz türmen. «Die Schindelwerkstatt, aber auch unser Säge- und Hobelwerk werfen viel Restholz ab. Daraus erzeugen wir Fernwärme und seit ein paar Jahren auch Strom», erklärt Bucher.


Von Hand gespaltene Schindel

Die Werkstatt der handgespaltenen Schindeln befindet sich in einer anderen Werkhalle und ist einem kleinen Raum untergebracht. Hier stehen niedrige Holztische. An einem arbeitet ein Mann. Mit dem Knie fixiert er das zu bearbeitende Holzstück. Mit der rechten Hand hält er das Messer ans Holz, mit der linken Hand schlägt er mit einem Holzschlegel darauf, so dass das Messer in das Holz dringt. Der Knieschoner federt die Schläge ab. Zuerst spaltet er das Holz in zwei gleiche Hälften, dann spaltet er die Hälfte wieder, bis die Schindel die gewünschte Dicke von vier Millimetern erhält. Hat er die Schnitte gemacht, bricht er von Hand die einzelnen Schindeln ab. Die Schindeln, die an diesem Nachmittag entstehen, bestehen aus Fichte und sind nur 150 Millimeter lang. Das heisst, dass sie dereinst für eine Fassade eingesetzt werden. «Für die Schindeldächer braucht es deutlich längere Schipfeni», meint Bucher, um wieder ein altes Wort in den Mund zu nehmen. «Schipfe» ist ein alter Ausdruck für Schindel. «Kürzlich haben wir für die Kirche Rüegsbach handgespaltene Lärchenschindeln liefern können. Die Lärche ist wegen des Harzes das widerstandsfähigste Holz. Das Holz imprägniert sich selber, wird gläsig und hält dem Wetter stand.»


Widerstandsfähig und wunderschön

Was sind die Vorteile der handgespaltenen Schindel? «Weil das Holz entlang der Faserrichtung gespalten wird, bleiben die Fasern unverletzt, so dass kein Wasser ins Holz eindringen kann. Deshalb ist die Holzoberfläche widerstandsfähiger als bei maschinell geschnittenen Schindeln», erklärt Bucher. «Kommt dazu, dass die handgespaltene Schindel einfach wunderschön ist. Kommen Sie, ich muss Ihnen etwas zeigen.» Bucher tritt vor die mit Schindeln verkleidete Hauswand. «Ein grosses Vordach schützt die Fassade vor dem Regen. Deswegen ist das Fichtenholz der fünfzigjährigen Schindeln nicht grau geworden, sondern trägt diese schöne, von der Sonne gefärbte tiefbraune bis schwarze Farbe. Jede handgespaltene Schindel sieht anders aus und macht die Handarbeit, die darin steckt, sichtbar. Schönheit und Einfachheit strahlt sie aus, Werte, die bleiben.»

27.10.2022 :: Bettina Haldemann-Bürgi (bhl)