Mangel an so genannten Fällmitteln: Ein Sturm im Abwasserbecken?

Mangel an so genannten Fällmitteln: Ein Sturm im Abwasserbecken?
In der ARA Langnau besteht kein Mangel an Fällmitteln. / Bild: Daniel Schweizer (sdl)
Umwelt: Um dem Abwasser das schädliche Phosphor zu ent­ziehen, werden Fällmittel eingesetzt. Diese wurden wegen hoher Energiepreise knapp. Wie sieht die Situation aktuell aus?

Kläranlagen setzen Fällmittel (siehe Kasten) ein, um dem Abwasser das schädliche Phosphor zu entziehen. Weil die Produktion dieser Stoffe energieintensiv ist, kommt es offensichtlich zu punktuellen Lieferengpässen oder -verzögerungen. Deutsche Medien haben schon im Oktober Alarm geschlagen, jetzt hauten auch die «NZZ am Sonntag» sowie Schweizer Tageszeitungen in die gleiche Kerbe. Ist die Situation tatsächlich so alarmierend?

Wie der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) mitteilt, seien Ende Sommer 2022 verschiedene Abwasserreinigungsanlagen (ARA) informiert worden, dass sie nicht mehr in den gewünschten Mengen mit Eisenfällmitteln beliefert werden könnten. Alternative Produkte wie Alufällmittel und Mischprodukte seien jedoch verfügbar. Der Auslöser für die Lieferengpässe sei eine Folge hoher Energiepreise sowie reduzierter Produktionskapazitäten auf dem Salzsäuremarkt. Der VSA sei deshalb regelmässig in Kontakt mit allen Lieferanten und Produzenten in der Schweiz, um frühzeitig auf eine Verschärfung der Lage reagieren zu können.


Kanton Bern: Versorgung gesichert 

Für Reto Manser, Abteilungsleiter beim Amt für Wasser und Abfall (AWA) des Kantons Bern, ist die Situation momentan angespannt, aber nicht kritisch. Gemäss einer kürzlich durchgeführten Umfrage sei die Versorgung der Kläranlagen mit Fällmitteln nach wie vor sichergestellt. «Uns ist im Kanton Bern keine ARA bekannt, die zu wenig Fällmittel zur Verfügung hat.» Allenfalls müssten einige auf teurere Alternativprodukte ausweichen. Die Versorgung aber bleibe sichergestellt. «Die Darstellung in der Sonntagspresse von einer akut drohenden Gewässerverschmutzung ist mir zu alarmistisch», meint Manser. Klar, die Preise für diese Mittel seien massiv gestiegen. Aber der Kostenfaktor von maximal einem Prozent der Abwassergebühr sei für die Gebührenzahler fast vernachlässigbar.


Wo könnte man verzichten?

Sollte sich die Versorgungslage tatsächlich verschlimmern, wäre das schon ein Problem für die Gewässer, räumt Manser ein. In diesem Fall gälte es zu beurteilen, wo die Folgen eines reduzierten Einsatzes von Fällmitteln am geringsten wären. Das würde wohl die nährstoffarmen Gewässer im Oberland betreffen, so Manser. Dort sei der Einfluss der Landwirtschaft auf die Gewässer eher gering. Der Brienzersee wäre somit weniger gefährdet als die Seen im Mittelland.

Die Aregger Chemie AG in Oensingen beliefert weit über 100 Kläranlagen in der Schweiz. «Uns sind keine Anlagen bekannt, die auf dem Trockenen sässen», sagt Geschäftsführer Felix Aregger. Der grösste Lieferengpass habe vor acht Wochen geherrscht. Doch sie erhielten die vertraglich zugesicherten Rohmaterialien. Und die Firma bewegt sich. So könnten sie bereits heute das sich verknappende Angebot an Salzsäure und Eisensulfat durch andere Rohstoffe wie Magnetit (Eisenerz) ersetzen, erklärt Aregger. Dadurch blieben sie immer lieferfähig. Die neuen Produkttypen wirkten bei der Anwendung in Kläranlagen gleich. «Wir haben bereits mehrere 100 Tonnen Fällmittel aus Magnetit produziert und planen, die Produktion laufend zu erhöhen», sagt Felix Aregger.


Keine Gefahr für die Ilfis 

Die dramatischen Schlagzeilen in den Medien ärgern auch Hans Stucki, Klärmeister der ARA Langnau. In den Kläranlagen der Region sei ein Mangel an Fällmitteln kein Thema. Hingegen hätten Anlagen, welche die Fällmittel aus dem Ausland beziehen, aktuell Probleme, weil diese Lieferanten tatsächlich nicht mehr im gewünschten Ausmass liefern könnten.

Bei einem Jahresbedarf von zirka 70 Tonnen Fällmittel könne sein Schweizer Lieferant innert weniger Tage 25 Tonnen liefern. Von einem Engpass könne somit keine Rede sein, hält Stucki fest. Hingegen seien die Produkte teurer geworden. Stucki garantiert aber, dass in der ARA Langnau an den Phosphor-Grenzwerten nicht geschraubt werde. «Das in die Ilfis zurückgeführte Wasser – zirka 8000 Kubikmeter täglich – weist eine Qualität auf, die unseren hohen Ansprüchen gerecht wird», bekräftigt der Klärmeister.

So wirken Fällmittel

Mit Fällmitteln – hauptsächlich basierend auf Eisenchlorid oder Eisensulfat sowie auch auf Aluminiumsalzen – entziehen die Ab-wasserreinigungsanlagen Phosphor aus dem Abwasser. Die gelösten Phosphorverbindungen werden mit Hilfe des Fällmittels in ungelöste Phosphate umgewandelt und als Feststoff aus dem Abwasser abgetrennt, erklärt Reto Manser vom AWA. Phosphor sei als Nährstoff zwar nicht akut toxisch, führe aber – neben andern Faktoren – zu -Algenwachstum sowie Sauerstoffmangel und gefährde damit die Wasserlebewesen und die Wasserökosysteme. Insbesondere vorbelastete Seen wären besonders betroffen, so Manser. 

15.12.2022 :: Daniel Schweizer (sdl)