Christine Bläuer erzählt Birgit Nägeli, wie es ihr momentan geht. / Bild: Silvia Wullschläger (sws)
Emmental: Die letzte Lebenszeit zuhause verbringen: Das ist der Wunsch vieler Menschen. Der mobile Palliativdienst hilft, diesen zu erfüllen. So wie bei Christine Bläuer aus Biglen.
Auf dem breiten und elektrisch verstellbaren Bett ruht sich Christine Bläuer tagsüber aus. An der Wand und an der Schranktüre hängen Fotos von der Familie, von Freunden. Auf einem Tischchen liegen ein Buch und Schreibzeug. Auch ein Fernseher befindet sich in dem Raum. «Manchmal schauen mein Mann und ich hier gemeinsam einen Film», erzählt die 59-Jährige.
Heute sitzt Birgit Nägeli an ihrem Bett. Sie ist beim mobilen Palliativdienst Emmental-Oberaargau Fachleiterin Palliativpflege. Christine Bläuer erzählt, wie es ihr momentan geht. Sie spricht von Schmerzen, von Übelkeit und von Atemnot, wenn sie sich hinlegt. Sie hat Krebs. Das zweite Mal schon. Vor zehn Jahren erkrankte sie an Brustkrebs. Nach einer Brustamputation erholte sie sich wieder. Im Oktober 2020 dann der Rückfall, in den Knochen und der Lunge hatten sich bereits Metastasen gebildet. Diesmal musste sie sich einer Chemotherapie unterziehen, vertrug sie aber schlecht. «Es ging mir miserabel, sodass ich die Therapie abbrechen musste», sagt Christine Bläuer. «Ich wollte meine restlichen Tage mit Leben füllen und nicht die Lebenszeit um jeden Preis verlängern.»
Bei Fragen anrufen
Als es ihr so schlecht ging, meldete sich Christine Bläuer beim mobilen Palliativdienst Emmental-Oberaargau. Ein Arzt hatte sie auf das Angebot aufmerksam gemacht. Birgit Nägeli besuchte sie in den ersten zwei Monaten regelmässig. Gemeinsam füllten sie eine Patientenverfügung aus. Bei medizinischen Fragen konnte die Fachleiterin Palliativpflege die Patientin beraten und Einschätzungen abgeben. Auch stellte sie den Kontakt zu Barbara Affolter Baumberger her. Sie ist Leitende Ärztin Innere Medizin und Palliativmedizin am Spital Emmental und im Teilzeitpensum für den Palliativdienst tätig. «Zum Beispiel hat sie mir geraten, einen Eingriff im Spital machen zu lassen, der meine Lebensqualität verbessert hat», erzählt Christine Bläuer. Nach dem Abbruch der Chemotherapie ging es ihr wieder besser. Sie habe viel mit ihrem Mann und der Familie unternehmen können. Heute ist der Kontakt zum mobilen Palliativdienst weniger intensiv. «Wenn Frau Bläuer Fragen hat, ruft sie mich an. Und wenn ich nichts von ihr höre, melde ich mich», erklärt Birgit Nägeli. Wenn sie merke, dass es ihr nicht gut gehe, vereinbare sie einen Termin.
Koordinieren, nicht pflegen
Der mobile Palliativdienst erbringt nur in Ausnahmefällen Leistungen der Grund- und Behandlungspflege. «Unsere Aufgabe ist es, zu koordinieren, zu beraten und ein Netz zu schaffen, das trägt», erklärt Dominique Hügli, Betriebsleiterin. Sie arbeiteten eng mit den Spitexorganisationen, Spitälern, Heimen, Haus- und Fachärzten sowie sozialen Institutionen zusammen. Die wichtigste Stütze seien jedoch die Angehörigen, betont Hügli. Hier gelte es, genau hinzuschauen, auch sie zu begleiten und darauf zu achten, sie nicht zu überfordern. «Je stärker das soziale Netz ist, desto besser stehen die Chancen, dass ein Patient oder eine Patientin bis zuletzt zu Hause bleiben kann», so die Erfahrung von Birgit Nägeli. Dem pflichtet Christine Bläuer bei. Ihr Mann, ihre vier Kinder mit ihren Familien, aber auch weitere Verwandte und Freunde seien ihr eine grosse Stütze. Wichtig und beruhigend für sie sei aber auch, dass sie im Notfall jederzeit anrufen könne. Der Pikettdienst des mobilen Palliativdienstes ist 24 Stunden an 365 Tagen erreichbar. «Wir können zwar nicht ausrücken, dazu verfügen wir nicht über die nötigen Ressourcen, doch wir beraten, beruhigen und leiten wenn nötig weitere Schritte ein», sagt Dominique Hügli.
Zuhause bleiben hat Grenzen
Zwar ist es der Wunsch von Christine Bläuer, bis zuletzt in ihrem gewohnten Umfeld bleiben zu können. Doch sie weiss, dass es nicht in jedem Fall möglich ist. Tatsächlich gebe es Situationen, die einen Eintritt in ein Spital oder ein Pflegeheim unumgänglich machten, bestätigt Birgit Nägeli. Etwa, wenn die Angehörigen überlastet seien oder wenn intensive medizinische Betreuung nötig werde. «Muss alle 30 Minuten ein Medikament gespritzt werden, wird es zuhause selbst mit Spitexunterstützung sehr schwierig», nennt sie ein Beispiel. Derzeit begleiten die vier Pflegefachfrauen des Palliativdienstes 60 Patientinnen und Patienten. Der Jüngste hat Jahrgang 2000, der Älteste ist 92-jährig. Krebserkrankungen seien am häufigsten, sagt Dominique Hügli. Sie geht davon aus, dass die Arbeit des mobilen Palliativdienstes in Zukunft noch wichtiger werden wird. Einerseits, weil die Leute immer älter würden. Andererseits, weil das Thema Sterben langsam enttabuisiert werde. Immer mehr Menschen machten sich Gedanken über ihr Lebensende und wollten bei diesem mitbestimmen. Zu diesem Thema wird am 16. Februar in Langnau ein Filmabend mit Podiumsgespräch durchgeführt (siehe Kasten).
Christine Bläuer spricht mit ihren Angehörigen offen über ihren Tod. «Wir haben auch meine Beerdigung besprochen. Das war mir wichtig.» Angst vor dem Sterben habe sie nicht. Dank ihres Glaubens an Gott wisse sie, wohin sie gehe. Mit dem Tod sei nicht alles vorbei, vielmehr beginne dann das ewige Leben. «Dort wird es keine Tränen und kein Sterben geben – und auch keine Krankheit.»