Sie kämpft für die Rechte von Behinderten

Sie kämpft für die Rechte von Behinderten
Marianne Plüss studiert am Laptop mit einem Vergrösserungsprogramm die Unterlagen für die Behindertensession. / Bild: Kathrin Schneider (skw)
Konolfingen: Marianne Plüss ist eine der 44 Gewählten, die an der ersten Behindertensession im Bundeshaus teilnehmen. Sie findet es gut, dass das Thema Behinderungen diskutiert wird.

Der Titel Behindertensession sei ganz bewusst gewählt worden, erzählt Marianne Plüss: «Er soll direkt sein, aufhorchen lassen und unmissverständlich zeigen, worum es bei diesem Anlass geht.» Menschen mit Behinderungen würden durch die Gesellschaft und ihre Normen an der politischen Teilhabe gehindert. Ausserdem solle das Thema Behinderungen nicht versteckt, sondern diskutiert und enttabuisiert werden. 

Marianne Plüss ist seit Geburt an stark sehbehindert. «Auf einem Auge sehe ich nichts, beim anderen ist 30 Prozent Rest-Sehvermögen vorhanden.» Auf den Aufruf, für die Behindertensession zu kandidieren, ist sie im November, kurz vor Anmeldeschluss, gestossen. 

Martin Candinas, Nationalratspräsident aus dem Kanton Graubünden, hatte den Anstoss zu dieser halbtägigen Session am 24. März gegeben. Organisiert wird sie von Pro Infirmis, einer der grössten Behindertenorganisationen der Schweiz. Der Anlass ist eine grosse Herausforderung, da das Bundeshaus keineswegs behindertengerecht eingerichtet ist.


Erfolgreicher Wahlkampf

Über 200 Kandidierende hätten sich gemeldet, erinnert sich Marianne Plüss. Aus diesen seien dann 44 Personen gewählt worden. Warum gerade so viele? Die 44 Sitze im Nationalrat entsprechen genau dem Anteil an Menschen mit Behinderungen in der Schweizer Bevölkerung über 16 Jahre. «Die Unterstützung war überwältigend», so Marianne Plüss. Sie habe Flyer verteilt, Whats-App-Nachrichten verschickt und Kontakte angeschrieben. Mit den Wochen seien viele ungefragte und unerwartete Helfer dazugestossen, das Ganze sei zum Selbstläufer geworden. Und trotzdem, als Ende Januar bekannt wurde, dass sie zu den Gewählten gehört, sei ihre Freude riesig gewesen. Ziel der ersten Behindertensession ist die Verabschiedung einer gemeinsamen Resolution. Eine vorbereitende Kommission aus Politikern diverser Parteien habe fünf Anträge zur Diskussion gestellt. Am 9. Februar reiste Marianne Plüss mit anderen Deutschschweizer Vertreterinnen nach Zürich, um dort die Punkte zu besprechen und Ergänzungs- oder Änderungsanträge zu formulieren. «Es war sehr interessant», sagt die Konolfingerin. Sie habe bereits viele Leute kennengelernt und neue Kontakte knüpfen können. Aktuell sitze sie viel am Laptop mit Vergrösserungsprogramm und studiere die Unterlagen, die zur Vorbereitung der Session verschickt worden sind. 


Keine Eintagesfliege

Marianne Plüss hofft, dass die Behindertensession kein einmaliger Anlass bleiben wird. «Es wäre auch schön, wenn die Resolution nicht versandet, sondern einzelne oder alle Punkte umgesetzt würden.» Die Behinderten seien politisch nicht nur klar untervertreten, sondern würden im Alltag auch an der Ausübung politischer Rechte behindert. Marianne Plüss bedauert, dass sich die reiche Schweiz nicht stärker engagiert, wenn es um die Rechte von Behinderten geht: «Häufig hört man bereits am Anfang, das werde doch viel zu teuer.» Sie ist etwa dafür, dass die Gebärdensprache als offizielle Landessprache akzeptiert wird. Oder dass es Abstimmungsunterlagen in leichter Sprache gibt und unkomplizierte finanzielle Unterstützung für Behinderte, welche Assistenz benötigen und ein politisches Amt ausüben. «Es geht für mich aber auch darum, dass wir Menschen mit Behinderungen besser wahrgenommen werden», betont Plüss. 

Jeder und jede Fünfte hat eine Behinderung

Gemäss Behindertengleichstellungsgesetz sind Behinderte
«Personen, die ein dauerhaftes Gesundheitsproblem haben und die bei Tätigkeiten des normalen Alltagslebens (stark oder etwas) eingeschränkt sind». Das Bundesamt für Statistik (BFS) hat erhoben, dass die Gesamtzahl Behinderter in der Schweiz im Jahr 2019 rund 1,8 Millionen Menschen betragen hat. Dies entsprich einem Anteil von knapp 21 Prozent der
Bevölkerung.

23.03.2023 :: Kathrin Schneider (skw)