Von der Pistole bis zur Kalaschnikow – dem Waffenboom auf der Spur

Von der Pistole bis zur Kalaschnikow – dem Waffenboom auf der Spur
Ein Blick in den Laden der Waffen Emmental GmbH in Langnau. / Bild: Markus Zahno (maz)
Kanton Bern: Von Jahr zu Jahr werden mehr Waffenkäufe bewilligt. Was sind die Gründe dafür? Wir haben Waffen Emmental, ein neues Verkaufsgeschäft in Langnau, besucht.

Patrick Kunz öffnet die Tür zum Verkaufsladen. Es ist eine dicke Türe, mit Alarmanlage gesichert und mit Videokamera überwacht. Er schaltet das Licht an – und man tritt in einen grossen, hellen Raum. Die Betondecke weiss gestrichen, die Wände bis auf Kopfhöhe mit Holz verkleidet. An den Wänden hängen Dutzende Waffen. Von der kleinen Pistole für 150 Franken bis zur halbautomatischen Kalaschnikow ist so ziemlich alles ausgestellt.

«Diese hier finde ich besonders schön», sagt Kunz und bleibt an der Wand stehen, an der alte Sammlergewehre hängen. Zum Beispiel eine Winchester Modell 1894, in deren Holzschaft eine goldene Münze eingearbeitet ist. Auf der Münze eingraviert: die Schlacht am Little Big Horn, als die Indianer gegen die US-Kavallerie ihren letzten Sieg feierten. «Mir gefällt nicht nur die Waffe, sondern auch die Geschichte dahinter.»


Jäger, Sammler, Schützen

Vor zweieinhalb Monaten hat Patrick Kunz zusammen mit zwei Kollegen an der Langnauer Schmiedenstrasse die Waffen Emmental GmbH eröffnet. Die drei kennen sich aus der Sammler- und Sportschützenszene. Alle arbeiten hauptberuflich anderswo, der Waffenladen ist ihr Hobby. Deshalb ist er nur am Donnerstagabend sowie am Samstag geöffnet. Die meisten Verkäufe werden ohnehin über den Online-Shop abgewickelt.

Etwa 60 Prozent der Kundschaft seien Sammler und 30 Prozent Sportschützen, berichtet Kunz. Die restlichen 10 Prozent seien Jäger oder andere. Mit dem bisherigen Geschäftsgang ist er zufrieden. «Man spürt, dass es im Oberemmental seit einiger Zeit kein Waffengeschäft mehr gab», sagt Kunz. «Die Nachfrage ist da.»

Einerseits ist die Dichte an Schützen und Jägern im Emmental höher als anderswo, andererseits boomen Waffenverkäufe generell. Gemäss einer Studie der Nichtregierungsorganisation «Small Arms Survey» liegt die Schweiz punkto privatem Waffenbesitz weltweit auf Rang 16. Ungefähr 2,3 Millionen Waffen befinden sich hierzulande in privaten Händen, also über 27 Waffen pro 100 Einwohner. Spitzenreiter sind die USA mit über 120 Waffen – pro 100 Einwohner.


Bedenken

Verglichen mit anderen europäischen Ländern hat die Schweiz ein liberales Waffengesetz. Alte Karabiner zum Beispiel sind nur meldepflichtig. Für andere Waffen, etwa 9-Millimeter-Pistolen, braucht es einen Waffenerwerbsschein und für sogenannt verbotene Waffen wie halbautomatische Gewehre eine Ausnahmebewilligung. Letztes Jahr hat die Kantonspolizei Bern 4213 Waffenerwerbsscheine und 1818 Ausnahmebewilligungen erteilt. Rund 2 Prozent der Gesuche wurden abgelehnt, weil die Gefahr bestand, dass die Gesuchssteller die Waffe missbrauchen könnten.

Laut der Polizei ist die Zahl der Waffenanträge in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Auch Daniel Wyss, der in Burgdorf ein Waffengeschäft führt und Präsident des Schweizerischen Büchsenmacher- und Waffenfachhändlerverbandes ist, stellt einen Aufwärtstrend fest. Durch den Ukraine-Krieg und die Kriminalität habe das Sicherheitsbedürfnis zugenommen, sagt er. Andere Fachleute nennen als Grund für die Zunahme auch die Pandemie, die dazu führte, dass gewisse Leute das Vertrauen in den Staat verloren haben und glauben, sich selber verteidigen zu müssen. Wyss bezweifelt, ob diese These stimmt.

Dennoch bereitet die Entwicklung vielen Menschen Sorgen. Die Frage muss erlaubt sein: Ist es nicht gefährlich, wenn immer mehr Private eine Waffe besitzen? Ist es verantwortbar, wenn Leute eine Pistole kaufen können, die gar nicht damit umzugehen wissen? Patrick Kunz von der Waffen Emmental GmbH hat kritische Fragen erwartet und antwortet ganz ­ruhig: «Eine Waffe, die in die falschen Hände gelangt – das will niemand.»


Dunkelziffer

Mehr offiziell verkaufte Waffen würden nicht automatisch mehr Gefahr bedeuten, sagt Kunz. «Wer etwas Schlechtes im Sinn hat, kauft die Waffe illegal.» Es gebe viele Möglichkeiten, auf dem Schwarzmarkt Waffen zu erwerben. Entsprechend hoch dürfte die Dunkelziffer an nicht registrierten Waffen sein.

In einem seriösen Geschäft würden die Kunden beraten, sagt Patrick Kunz. «Wenn einer kommt und sagt, er brauche die Waffe zur Selbstverteidigung, rate ich ihm ab.» Denn: «Wenn der, der mich bedroht, mit der Waffe erfahrener ist als ich, nützt mir meine eigene Waffe nichts.» Aber Hand aufs Herz: Würde Kunz einen Kunden, der die nötigen Papiere hat, wirklich zurückweisen? «Ja, denn als registrierte Händler sind wir verpflichtet, die Leute zu prüfen und Nein zu sagen, wenn wir ein ungutes Gefühl haben», antwortet er.

Doch heute verkaufen immer mehr Waffengeschäfte ausschliesslich über den Online-Shop. Pistolen werden per Post verschickt, ohne dass der Händler den Kunden je gesehen hat. Darüber ist auch Daniel Wyss, der Präsident des Branchenverbandes, nicht glücklich. «Waffen sind nichts Schlechtes», sagt er, «aber man muss sicherstellen, dass die Leute damit umgehen können.»

15.06.2023 :: Markus Zahno (maz)