Cathrine, Marcus, Wayne und Ada Schlabach erzählen von den Eindrücken ihrer Reise. / Bild: Bruno Zürcher (zue)
Signau: Eine kleine Gruppe von Amischen machte sich auf, Lebensstationen ihrer Vorfahren zu besuchen. Dass sie im Weiler Schlapbach einen Halt machten, überrascht nicht.
«Es ist unglaublich, dass wir hier sind. Und sehr beeindruckend», sagt Wayne Schlabach. Der 70-Jährige sitzt gemeinsam mit seiner Frau, Ada, auf dem Sitzplatz bei einer Ferienwohnung im Weiler Schlapbach, Gemeinde Signau. Aus dem Namen des Weilers hat sich vor Jahrhunderten der Familienname «Schlapbach» – oder eben «Schlabach», wie sie ihn schreiben – entwickelt. Und nun werden sie also hier, am Ursprung ihrer Familie, übernachten. Vorfahren und Verwandtschaften sind sofort ein Gesprächsthema. «Wie heissen Sie?» «Zürcher? Mein Lehrer hiess so», berichtet Ada Schlabach, und ihr Mann fragt: «Kennen Sie Familien, die Schlabach heissen hier in der Gegend? Wir möchten gerne welche kennenlernen.»
Eine alte, deutsche Bibel
Wayne und Ada Schlabach leben in Mount Eaton, Ohio. Gemeinsam mit Waynes Bruder, Marcus und dessen Frau Cathrine, haben sie den weiten Weg ins Emmental auf sich genommen, um möglichst viele für ihre Familie wichtige Stationen zu besuchen. «Wir waren schon auf dem Schloss Trachselwald und haben im Turm das Gefängnis gesehen», berichtet Wayne Schlabach. «Dort war Jacob Schlabach inhaftiert. Er wurde schliesslich hingerichtet. Das war im 18. Jahrhundert.» Dessen Sohn flüchtete erst nach Deutschland, zog dann weiter nach Holland und emigrierte schliesslich nach Amerika. Obwohl die Familie Schlabach seitdem in den USA lebt, spricht Wayne Schlabach etwas Deutsch. Grund dafür ist der Glaube. Die Schlabachs sind Amische (siehe Kasten), welche traditionell aus einer Lutherbibel aus dem 19. Jahrhundert lesen. Das bringt mit sich, dass sie modernere Wörter nicht kennen. Auch betonen sie manches anders, als es im deutschsprachigen Raum heute üblich ist.
Untereinander sprechen die Schlabachs und ihre benachbarten amischen Freunde Pennsylvania-Dutch. Die Sprache hat einen ähnlichen Klang wie Berndeutsch, auch versteht man als Emmentaler recht viel. Umgekehrt verstehen die Gäste aus Ohio auch etwas Berndeutsch. «Pennsylvania-Dutch ist eine Mischung aus alten deutschen, holländischen und englischen Wörtern», weiss Wayne Schlabach.
«Das braucht es fürs Business»
Wichtig für die Kommunikation ist heute das Englische. «Das braucht man einfach, um ein Gewerbe betreiben zu können. Sie haben sich wohl auch gewundert, warum wir als amische Familie einen E-Mail-Account haben», meint der 70-Jährige und lacht. Auch das sei unabdingbar «for the business».
Dass die Schlabachs den Old Order Amish – Amische alter Ordnung – angehören, lässt sich auf den ersten Blick erkennen. Die Männer tragen den charakteristischen Bart, die Frauen unifarbene Röcke und eine Haube. Die Amischen sind bekannt dafür, dass sie nicht nur bezüglich der Kleidung Neuerungen kritisch prüfen, sondern auch in Sachen Technik. «Obwohl lange nicht mehr alle Amischen Farmer sind, haben wir alle Pferde», berichtet Wayne Schlabach, der sein Geld als Builder, also quasi als Zimmermann, verdient hat. Weil sie daheim mit Pferd und Kutsche unterwegs sind, haben sie auch keinen Auto-Führerschein. Hier in der Schweiz lassen sie sich mit einem kleinen Bus chauffieren.
Die Regeln ihrer Gemeinschaft verbieten es ihnen auch, zu fliegen. So hat die amische Reisegruppe, nachdem sie am 6. Juli per Bahn nach New York gefahren ist, dort das Schiff Queen Mary bestiegen, das sie nach Southampton in England brachte. Wie lange dauerte die Überfahrt? «Sechs Tage und sieben Nächte», sagt Ada Schlabach. Dann gings weiter mit der Bahn via Paris Richtung Schweiz. Hier standen nebst dem Schloss Trachselwald unter anderem auch das Täuferversteck in Trub auf dem Reiseprogramm.
Besonders stark beeindruckt hat Wayne Schlabach aber ein Besuch im Örtchen Salm im Elsass. Dort fanden Anfang des 18. Jahrhunderts viele Täufer aus dem Kanton Bern Zuflucht. «Es gibt dort ein Schlabach-Haus», sagt der 70-Jährige. Auch kann in Salm ein alter Mennoniten-Friedhof besichtigt werden. Das ist etwas Seltenes. Während der Zeit der Verfolgung wurden die Täuferinnen und Täufer meist im Garten bestattet. Der Friedhof in Salm befindet sich auf einem privaten Grundstück und blieb bis heute erhalten. «All die uns geläufigen Familiennamen zu sehen, war sehr berührend. Wo leben wohl die Nachfahren dieser Leute heute?»
Dort stehe eine riesige Eiche, berichtet Wayne Schlabach weiter. «Sie soll gepflanzt worden sein, als 1793 die Täufer erwirken konnten, dass sie fortan vom Wehrdienst befreit würden. Das war sehr wichtig für unsere Gemeinschaft.» Wie frei können die Amischen heute leben? «Die Freiheiten in den USA sind gross», sagt Wayne Schlabach. «Wir akzeptieren die anderen Leute und sie uns. Ein Christ ist ein Christ.»
Das fällt auf
Die Gruppe wohnte auch verschiedenen Gottesdiensten bei. «An einem Ort machte eine Frau die Lesung», weiss Ada Schlabach zu berichten und lacht, «das gibt es bei uns nie.»
Erlebten sie andere lustige Dinge? «Bestellt man hier in einem Restaurant ein Getränk, wird dieses ohne Eis serviert», wirft Marcus Schlabach ein. «Fragt man dann nach Eis, erhält man zwei, drei Würfel», fügt er an und lacht. «Bei uns wird der Becher erst mit Eis gefüllt, dann kommt das Getränk rein.» Das Essen in der Schweiz wird von allen vieren gelobt. «Und die Landschaft ist sehr schön», erwähnt Ada Schlabach. Ihr Schwager pflichtet ihr bei: «Mich beeindrucken vor allem die grünen Hügel», meint Marcus Schlabach und weist auf den Abhang bei der Ferienwohnung. «Wir in Ohio dachten ja auch, dass wir Hügel haben, das hier ist etwas ganz anderes. Und dann fahren die Farmer noch mit den Traktoren in dem steilen Gelände herum! Bei uns wäre das unvorstellbar.» Die Landwirtschaft sei hier zum Teil ähnlich wie bei ihnen zuhause, zum Teil aber auch ganz anders. «Der grösste Unterschied ist, dass bei uns die Farmen viel grösser sind; eher so wie in Frankreich», sagt Wayne Schlabach. Von ihren vier Kindern arbeite nur noch ein Sohn «richtig» als Farmer, viele würden aber nebenbei eine Farm bewirtschaften. Man werde sehen, wie es sich weiter entwickle, meint Wayne. «Wir haben 29 Grosskinder. Das ist richtig, oder?», fragt er seine Frau. Diese nickt zustimmend.
Friedersmatt, Wien, London
Der Weiler Friedersmatt in der Gemeinde Bowil ist für die Amischen an sich ein Ursprungsort. Hier kam es 1693 unter Führung von Jakob Ammann zur Abspaltung von den übrigen Täufern. Uneins war man sich unter anderem in der Frage, welche Leute in den Himmel kommen und welche nicht. Ammann forderte hierzu strenge Regeln für den Alltag. «Er kam dann noch einmal zurück und wollte sich versöhnen», weiss Wayne Schlabach. «Aber es war zu spät. Gut ist, dass wird heute wieder freundschaftlich mit anderen Täufern leben können.» Als sie erfahren, dass der Weiler Friedersmatt nur wenige Kilometer entfernt liegt, wollen sie sofort eine Adresse, um den Ort besichtigen zu können.
Auf dem Reiseprogramm der Gruppe stehen auch noch andere Destinationen. Interlaken und das Jungfraujoch. «Dann wollen wir noch einen Gleitschirmflug machen», berichtet Wayne Schlabach und lacht. «Also ich nicht», hält Ada hastig fest und winkt ab. Dann macht die Gruppe noch eine Tour durch Europa: Wien, Auschwitz, München; dann folgt eine Rheinfahrt nach Holland – wie einst ihre Vorfahren gereist sind. Von dort gehts dann via London nach Southampton, wo sie wieder an Bord der Queen Mary gehen werden. «Die Reise war ein grosser Traum von uns», sagt Wayne Schlabach und seine Frau ergänzt. «Vor Jahren reisten Verwandte von uns ins Emmental und berichteten: ‹Das müsst ihr gesehen haben›. Wir sind sehr happy, hat es nun geklappt.»