In der Keramikwerkstatt können auch niederschwellige Arbeitsplätze angeboten werden. / Bild: zvg
Emmental: Die Stiftung Intact konnte im 2022 so viele Leute in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln wie noch nie. Das hat Folgen für ihre eigenen Angebote und die Finanzen.
«Gerade gestern hat ein Unternehmer angefragt, ob wir nicht einen Elektriker vermitteln könnten», erzählt Theophil Bucher, Geschäftsführer der Stiftung Intact. Diese bietet langzeiterwerbslosen Menschen im Emmental eine Beschäftigung und Unterstützung bei der beruflichen Integration. Habe es vor drei Jahren für manche Teilnehmenden Dutzende Bewerbungen gebraucht, um eine Anstellung zu finden, seien es heute nur noch wenige. Der grosse Erfolg bei der Vermittlung – im 2022 lag die Quote mit 36 Prozent so hoch wie noch nie – führt Bucher auf den Fachkräftemangel zurück. «Der Arbeitsmarkt ist total ausgetrocknet.» Heute könnten sie auch Leute mit dem einen oder anderen Handicap in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln, was noch vor drei Jahren viel schwieriger gewesen sei. Im Schnitt finde jede Woche eine Person eine Anstellung. «Das ist sehr erfreulich, hat aber auch Folgen für unsere Angebote», erklärt Bucher.
Mehr Betreuung nötig
Die Sozialdienste würden ihnen nach wie vor Personen zuweisen, sagt der Intact-Geschäftsführer. Diese seien oft psychisch und gesundheitlich stärker vorbelastet und benötigten mehr Betreuung. Ausserdem könnten sie häufig nur niedrige Pensen bewältigen. Anspruchsvollere Arbeiten seien für diese Menschen weniger geeignet. Theophil Bucher macht ein Beispiel: «Aktuell haben wir Mühe, genügend Fahrer für den Hauslieferdienst in Burgdorf und Langnau zu finden.» Diese Tätigkeit erfordere gewisse körperliche Voraussetzungen, aber auch soziale Kompetenzen, da man mit Kundinnen und Kunden in Kontakt trete. Obwohl es aufwändig ist, dieses Angebot aufrechtzuerhalten, daran rütteln will Theophil Bucher nicht. Zum einen sei die Stiftung Intact damit gross geworden. Zum andern wachse die Nachfrage Jahr für Jahr. Nicht zuletzt würden die Velos des Hauslieferdienstes in der eigenen Werkstatt unterhalten, die wiederum niederschwellige Arbeitsplätze biete. Und von diesen brauche es mehr. «In der Velowerkstatt, im Recyclingbetrieb, im Nähatelier sowie in der Keramikwerkstatt könnten wir momentan zehn Prozent mehr Leute beschäftigen», erklärt Bucher. Sie seien nun dran, neue Plätze zu schaffen.
Änderung in Velowerkstatt Langnau
In Langnau plant die Stiftung neue Frauenarbeitsplätze. In welchem Bereich, sei noch nicht spruchreif, so Bucher. Die Velowerkstatt für Kunden aber müsse im Herbst schliessen. Dies, weil die Besitzerin der Liegenschaft an der Bernstrasse 27 Eigenbedarf angemeldet habe. Die Werkstatt werde verkleinert und bei der Rent-a-Bike-Ausgabestelle im Güterschuppen der SBB integriert. Sie diene künftig primär dem Unterhalt der eigenen Flotte. Weiter seien sie mit Hochdruck daran, bestehende Angebote auszubauen, erklärt der Geschäftsführer. So garantiere der neue Recycling-Partner ein höheres Volumen. Und in der Gastronomie wolle man vermehrt Schulen, Kitas oder Firmen beliefern und Kantinen betreiben. Das sei einfacher zu organisieren als eine Tagesküche und der Mittagsservice in einem Restaurant.
Wieder ein Verlust
Die höheren Vermittlungszahlen im 2022 haben sich auch auf die Finanzen der Stiftung ausgewirkt. Die kantonale Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion sei von einer steigenden Sozialhilfequote ausgegangen. Entsprechend hat Intact die Anzahl Integrationsplätze ausgebaut, konnte sie dann aber nicht besetzen. «Da sich die Abgeltung des Kantons nach der Auslastung richtet, haben wir im 2022 einen Verlust geschrieben», erklärt Theophil Bucher. Schon die beiden Jahre zuvor habe ein Minus resultiert, weil wegen der Corona-Pandemie gewisse Betriebszweige geschlossen waren. Die Verluste müssten sie selber tragen, das Eigenkapital sei nun praktisch aufgebraucht. Die Stiftung ergriff Sparmassnahmen. Der Personalbestand sei durch natürliche Abgänge um zehn Prozent reduziert worden, führt Bucher aus. Sie hätten auch die Digitalisierung vorangetrieben und setzten mehr Zivildienstleistende und Praktikantinnen ein. Auf der anderen Seite erwarte man dank der Anpassungen beim Angebot höhere Einnahmen aus dem Verkauf von Produkten und Dienstleistungen.
Auch Kanton in der Pflicht
Theophil Bucher betont, dass die Sparmassnahmen Grenzen hätten. Weder sei mit massiv höheren Einnahmen zu rechnen, noch könne beim Personal beliebig gespart werden. Im Gegenteil. «Weil die Betreuung der Teilnehmenden anspruchsvoller wird, braucht es besser ausgebildete Mitarbeitende, was mehr kostet.» Bucher setzt sich deshalb dafür ein, dass der Kanton das Abgeltungssystem anpasst. «Wir benötigen in dieser dynamischen Zeit mehr Planungssicherheit. Und es muss möglich sein, das Eigenkapital wieder aufzubauen, um auch künftig auf Veränderungen reagieren zu können.» Denn eins ist für Bucher klar: Integrationsprogramme wird es weiterhin brauchen. Es biete sich nun die Chance, stärker belastete Menschen besser fördern zu können. Und Flüchtlinge. Seit Oktober 2022 besuchen Ukrainerinnen und Ukrainer die Angebote. Bereits konnten mehrere Personen in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden.