Eine Zeitreise zwischen zwei Buchdeckeln

Eine Zeitreise zwischen zwei Buchdeckeln
Der Sieger: Peter Heiniger war per Videobotschaft zugeschaltet. / Bild: Erhard Hofer (hol)
Langnau: Wie sieht die Welt im Jahr 2222 aus? Am Kurzgeschichten-Wettbewerb der «Wochen-Zeitung» haben 47 Autorinnen und Autoren Ant­worten auf diese Frage gegeben.

«Die wievielte gemeinsame Mission ist das jetzt? Ich habe aufgehört zu zählen. Dennoch, Routine wird es nie. Wir sind ein eingespieltes Team, du und ich. Vater und Kind. Für gewöhnlich sind Kinder nicht zugelassen. Viel zu gefährlich. Aber du bist kein gewöhnliches Kind. Du bist das Kind, dem wir die Möglichkeit des Zeitreisens überhaupt verdanken.»

Wer würde nicht gerne eine Zeitreise machen, einfach so mal 200 Jahre in die Zukunft reisen? 47 Autorinnen und Autoren aus dem Emmental und Entlebuch haben genau das getan. Sie haben am zweiten Kurzgeschichten-Wettbewerb der «Wochen-Zeitung» teilgenommen, der unter dem Motto «Wir sehen uns im 2222» stand. Eine Fachjury hat die drei Siegergeschichten gekürt, und in der Regionalbibliothek Langnau fand letzten Donnerstag vor über 60 Gästen die Preisverleihung statt.

Voller Poesie

Gewonnen hat den Wettbewerb Peter Heiniger, Lehrer, Bühnenpoet und Liedermacher aus dem Oberfrittenbach. In seiner Geschichte «Lichter», aus der auch die Zeilen am Anfang dieses Artikels stammen, nimmt er die Leserinnen und Leser mit auf eine Zeitreise in das Jahr 2222. Was Vater und Kind auf dieser Reise erleben, sei an dieser Stelle nicht zu detailliert verraten. Nur so viel: Heinigers Ausflug ins 2222 ist nicht eine Reise in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit. Jurymitglied Brigitte Roth brachte es in der Laudatio auf den Punkt: «Diese Zeitreise», erklärte sie, «ist eine Heldengeschichte voller Poesie.» Wie sie ausgeht, ist im Buch zum Kurzgeschichten-Wettbewerb nachzulesen, das ab sofort erhältlich ist.

An der Preisverleihung konnte Peter Heiniger nicht persönlich anwesend sein. Er hatte für diesen Abend schon vor langem einen Bühnenauftritt vereinbart. «Wenn ich eine Zeitreise machen könnte, würde ich zurückreisen und den Termin für den Auftritt auf einen anderen Tag legen», so Heiniger in einer Videobotschaft. «Dann könnte ich jetzt hier sein.» 

Voll verliebt

Auf den zweiten Platz des Kurzgeschichten-Wettbewerbs schaffte es «Wendepunkt Silvester» von Denise Sommer aus Sumiswald. Ihre Protagonistin ist eine junge Frau namens Ava. Sie lebt in einer Zeit, in der Brot auschliesslich aus Kunstmehl besteht, frisches Quellwasser ein Luxusprodukt und Liebe ein Gefühl ist, das die Menschen höchstens noch aus alten Aufzeichnungen kennen. An der Silvesterparty 2021 lernt Ava dieses Gefühl plötzlich selbst kennen?…

Den dritten Platz belegt die Geschichte «Eden 3486» von Christian Strähl aus Niederhünigen. Weil die Erdoberfläche verstrahlt ist, lebt der Ich-Erzähler dieser Geschichte 3486 Meter unter dem Meer. Als ein Störfall auftritt und die Energievorräte dort unten auszugehen drohen, muss er hinauf auf die Erde. Und staunt.

Schon in schriftlicher Form sind die Geschichten unterhaltsam. An der Preisverleihung hauchte ihnen Sam Schüpbach noch zusätzliches Leben ein. Der ehemalige Lehrer und heutige Theatermann las die drei Siegergeschichten vor – mit seiner unverkennbaren Stimme und einer Eindringlichkeit, die das Publikum gebannt zuhören liess.

Voll mutig

Die Jury bestand aus Bibliotheksleiterin Ursula Strahm, Lehrerin Brigitte Roth sowie Schriftsteller Gabriel Anwander. Sie beurteilten jede der eingereichten Kurzgeschichten, ohne zu wissen, von wem sie stammt. Auch Alter und Geschlecht der Autorin oder des Autors waren ihnen nicht bekannt, sodass sie die Geschichten unvoreingenommen beurteilen konnten. «Wir haben Hochachtung vor den Autorinnen und Autoren. Sie haben sich mit einem schwierigen Thema befasst und sich einem Wettbewerb gestellt – das braucht Mut», sagte Brigitte Roth. Deshalb belegen alle 44 Schreibenden, die nicht auf dem Podest sind, gemeinsam den vierten Rang, so Tom Herrmann, Verlagsleiter der «Wochen-Zeitung».

«Wir sehen uns im 2222»: Bei diesem Thema brauche es ziemlich viel Kopfarbeit, bevor man in die Tasten hauen könne, so Herrmann. Ziel des Kurzgeschichten-Wettbewerbs sei es, die Leute zum Schreiben zu bewegen und dafür zu sorgen, dass ihre Geschichten gelesen werden, erklärte Herrmann. Und ein weiteres Ziel war gewiss auch, die Menschen zum Nachdenken zu bringen. 

Das ist zweifellos gelungen. Beim Apéro nach der Preisverleihung philosophierten die Gäste jedenfalls angeregt darüber, ob sich die Erde in 200 Jahren tatsächlich so sehr verändert haben wird, wie wir heute denken.


Den Film zur Preisverleihung finden Sie unter www.wochen-zeitung.ch/wz-tv

?Hier geht’s zur Bildergalerie mit Impressionen der Vernissage

Das Buch

Die 47 Geschichten des Kurzgeschichten-Wettbewerbs sind ab sofort als Buch erhältlich:

«Wir sehen uns im 2222», Herrmann-Verlag Langnau, 240 Seiten, 22 Franken.

Erhältlich am Schalter der «Wochen-Zeitung», Brennerstrasse 7, 3550 Langnau. Oder online auf Emmentalshop.ch.

ISBN 978-3-907229-43-9.

14.09.2023 :: Markus Zahno (maz)