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Emmentaler in Grossbritannien

Emmentaler in Grossbritannien
Michael Gerber berichtet über alle Facetten Grossbritanniens – dazu gehören auch diamantenbesetzte Royals. / Bild: Elio Stettler (ese)
Langnau: Nachrichten über Wirtschaft, Politik und Royals: Der Bärauer Michael Gerber ist SRF-Korrespondent in London. An der Volkshochschule in Langnau berichtete er über seine Arbeit im Vereinigten Königreich.

Das Fernsehen lebt von Bildern, und mit Bildern illustrierte Michael Gerber am vergangenen Donnerstag auch seinen Vortrag vor rund 120 Personen: Als erstes zeigte er die alten Kämpen der Rolling Stones. Wie diese seit 60 Jahren aktive Rockband biete Grossbritannien immer wieder Überraschungen, und sei deshalb ein spannendes Land: Es habe seit kurzem einen neuen, allerdings schon 74-jährigen König. Im Unterschied zu seiner Mutter sei Charles ein politischer Monarch, ja er sei eigentlich ein Umweltaktivist. Dann aber zeichnete Michael Gerber ein eher düsteres Bild des Vereinigten Königreichs: Abgesehen von der Finanzindustrie in der Londoner City gehe es dem Land wirtschaftlich «nicht so gut»: «Wäre die City nicht da, wäre die Wirtschaftsleistung geringer als im ärmsten US-Bundesstaat Mississippi», sagte er. Die Industrie habe an Boden eingebüsst, nach Brexit, dem Austritt aus der EU, überlegten es sich Investoren zweimal, ob sie in diesem Land noch investieren wollten. Zum Beispiel habe das Land kurz nach der Brexit-Abstimmung noch 1,3 Millionen Autos produziert. Jetzt, nach vollzogenem Austritt, seien es nur noch knapp 800´000, weil die neuen Zollbestimmungen die Einfuhr von Autoteilen und die Ausfuhr von Neuwagen behinderten.


Weit verbreitete Armut

Zu schaffen macht dem Land laut Gerber auch die Kluft zwischen arm und reich: «Ein Haushalt, der mit weniger als 1600 Franken pro Monat über die Runden kommen muss, gilt als arm, und unter diese Definition fallen 15 Millionen Menschen.» Das staatliche Gesundheitssystem sei aus dem Lot, rund 400´000 Menschen warteten seit über einem Jahr auf einen Arzttermin. Rascher werden nur behandelt, wer ein paar Hundert Pfund für einen schnelleren Service zur Hand habe.


Tourismusmagnet Monarchie

Aber da gibt es doch die Monarchie? ­Michael Gerber zeigt in seinem Vortrag ein Bild von Charles und Camilla mit kronenbesetzten Häuptern. «Das Königshaus hilft dem Land politisch, mit Charles und Camilla gibt es eine neue Dynamik.» Die Monarchie sei aber auch gut für den Tourismus, die Schlösser, die Museen werden besucht. «Nach Berechnungen bringt dieser Tourismus dem Land pro Jahr etwa 2,5 Milliarden Pfund ein, das ist ein Mehrfaches der Kosten von rund 550 Millionen Pfund für das Königshaus». Nicht überraschend wurde die Monarchie dann auch in der Fragerunde zum Thema. Zu Meghan, der Gattin von Harry, habe es aus dem Königshaus rassistische Vorwürfe gegeben, sagte Gerber, die beiden hätten von der Königsfamilie zu wenig Unterstützung erhalten. Aber jetzt, nach der Netflix-Serie und Harrys Buch, hätten die beiden ihre Glaubwürdigkeit verloren. «Die Gegner der Monarchie nehmen zu», hielt Michael Gerber fest, «bei jüngeren Menschen sind die Umfragewerte tief. Aber vor allem ­ältere Menschen, Konservative, finden die Monarchie nach wie vor super.»


Arbeit unter Zeitdruck

Wie geht ein Korrespondent mit dem Zeitdruck um? Schnell vorwärtsmachen, wenns eilt – und dabei möglichst ruhig bleiben, das habe er schon auf dem Schulweg von Bärau nach Langnau üben können, sagte Gerber. Das gelang aber schon in der Vergangenheit nicht immer. So sei er vor allem im Winter ab und zu spät in die Schule gekommen. Zeitdruck sei in seiner Branche üblich. «Als die Queen starb, hätte die Live-Schaltung für die Tagesschau noch gereicht. Weil jedoch alle Korrespondenten gleichzeitig live berichten wollten, gab es technische Schwierigkeiten. Erst in der Spezialsendung nach 20 Uhr und bei 10 vor 10 war ich präsent.» «Neue Menschen, neue Situationen ist Teil meines Jobs», sagte Gerber. So habe er kürzlich ein Porträt über einen Familienvater mit zwei Kindern gedreht, der mit umgerechnet 1000 Franken im Monat auskommen müsse, aber nicht mit seinem Schicksal hadere, sondern dabei sei, ein Malergeschäft aufzubauen. Seine Aufgabe sei es, das Land in seiner Vielfalt abzubilden. «Die Royals, die politischen Turbulenzen halten mich auf Trab; kurzweiliger, als ein Korrespondentenleben ist, geht es gar nicht.» Und wenn er schon einmal Zeit hat, geht er im Hampstead-Heath-Park spazieren und schwimmen. Auch dazu zeigt Gerber ein Bild: Wassertemperatur im Teich, 12,8 Grad.

Wurzeln in Bärau

Michael Gerber, Jahrgang 1970, ist auf einem Bauernhof in Bärau zusammen mit sieben Geschwistern aufgewachsen. Er studierte Geschichte, Politik, Journalismus und Kommunikation. Seine Karriere im Journalismus startete er im Regionalteil der «Berner Zeitung». Nach einer Zeit als Bundeshausredaktor für das Magazin «Facts» wechselte er zu SRF, für das er unter anderem als Korrespondent in Genf und Paris tätig war. Seit April letzten Jahres arbeitet er als Korrespondent Grossbritannien in London. Zuhause ist er dort im Norden der Grossstadt, einem Teil, wie er sagt «ohne Hochhäuser, ohne grossstädtisches Ambiente». Seine Wurzeln im Emmental seien ihm nach wie vor wichtig, er habe zum Beispiel gute Erinnerungen ans Heuen mit der Familie, und auf jeden Fall komme er immer wieder gerne zu Besuch. Eine kleine Episode Emmental gab es für ihn auch in London: Die Langnauerin Lia Wälti ist Fussballerin bei Arsenal London und -Gerber hat sie bei Heimspielen gesehen.

21.09.2023 :: Rudolf Burger (bur)