Die Frage nach dem Warum – oft sind Eltern ratlos, wenn Kinder den Kontakt mit ihnen abbrechen. / Bild: Shutterstock
Langnau: Wenn erwachsene Kinder mit ihren Eltern nichts mehr zu tun haben wollen, bricht für diese oft eine Welt zusammen. In Langnau entsteht eine Selbsthilfegruppe für Betroffene.
Letztmals unternahm Margot Meier (Name geändert) Ende Jahr einen Versuch, den Kontakt zu ihren erwachsenen Kindern wieder aufzunehmen. Eine Feiertagskarte. Die Reaktion blieb – wie mehrmals zuvor – aus. «Ich kann nur spekulieren, wie es ihnen geht», sagt sie, «und dies versuche ich zu vermeiden, weil es schmerzt.» Zu oft schon stellte sich Margot Meier die immer gleichen Fragen: «Warum haben die Kinder den Kontakt abgebrochen? Was habe ich falsch gemacht? Was wollen die Kinder damit erreichen?» Der Bruch erfolgte vor rund einem Jahr. Für Meier abrupt. «Vorher hatten wir einen guten Familienzusammenhalt», sagt sie. Ihr Sohn teilte ihr eines Tages in einem Gespräch mit, er habe psychische Probleme, die aus seiner Kindheit stammen. Was folgte, waren schwerwiegende Vorwürfe an sie als Mutter, die Meier bis heute nicht mit ihrer Wahrnehmung und Erinnerung zusammenbringt. «Ich war völlig entgeistert und wie schockgefroren», erinnert sie sich, «hatte ich doch das Gefühl, eine verantwortungsbewusste Mutter gewesen zu sein.» Als sie bei den anderen Kindern nachfragte, hörte sie weitere Anschuldigungen. Die Kinder distanzierten sich von der Mutter und auch von der Familie mütterlicherseits. Margot Meier: «Ich fragte mich, was passiert hier gerade? Und dasselbe fragte sich auch mein Umfeld.» Antworten bekam die verlassene Mutter kaum. Anfangs habe sie noch verzweifelt versucht, die Kinder zu mehr Auskunft zu bewegen. Meier suchte klärende Gespräche und organisierte einen Termin für eine Familienberatung – doch die Kinder wehrten ab. In den folgenden Monaten grübelte Margot Meier ständig. «Für den Schmerz, den ich empfand, gibt es keine Worte. Ich war wütend und fassungslos.» Immer wieder analysierte sie die Vergangenheit. Und immer wieder tauchte die gleiche Frage auf: «Was war geschehen?»
Schambehaftetes Thema
«Kontaktabbrüche lassen Eltern oft ratlos zurück», bestätigt Barbara Hurni Spiegel, die in ihrer Praxis für Paar- und Familientherapie gelegentlich mit verlassenen Eltern zu tun hat – auch wenn es sich um vereinzelte Fälle handle. «Das Thema ist sehr schambehaftet», sagt sie. Denn sofort stehe die Frage im Raum: Bin ich eine schlechte Mutter oder ein schlechter Vater? «Auch deshalb braucht es sehr viel, bis sich Betroffenen Hilfe suchen», vermutet die Therapeutin.
Austausch ist wichtig
Jede Geschichte sei anders, sagt Barbara Hurni Spiegel. Fest steht für sie aber: «Einen solchen schwierigen Schritt machen Kinder immer aus einer Not heraus.» Aber was macht das mit den Eltern? Unmittelbar nach einem Kontaktabbruch stehe der Schmerz im Vordergrund, so Hurni Spiegel. «Mögliche Gründe und die Sicht der Kinder anerkennen zu können, ist für die meisten Eltern ein Prozess.» Es gebe Geschichten mit Gewalt und Missbrauch, öfter aber lägen die Ursachen eher in Lebensthemen oder Familienkonstellationen, die für das Kind oder die Eltern vielleicht schwierig gewesen seien, sagt sie. Was rät Barbara Hurni Spiegel betroffenen Eltern? Erst mal müsse man wieder Ruhe einkehren lassen, meint sie. «Zu emotionale Reaktionen machen meistens noch mehr kaputt.» Wichtig sei, dass Betroffene sich nun gut um sich selbst kümmern, empfiehlt sie weiter. Der Austausch mit Freunden, anderen Familienmitgliedern oder auch in Selbsthilfegruppen (siehe Kasten) sei wichtig. Gegenüber den Kindern könne man vor allem weiterhin signalisieren, für ein Gespräch bereit zu sein.
Ernüchterung, keine Wut
Auch bei Margot Meier stehen die Türen für ihre Kinder nach wie vor offen. «Ich würde mir wünschen, dass sie den Kontakt wieder aufnehmen.» Es sei eine tiefe und schmerzhafte Lücke, die sie verspüre. Zum Beispiel dann,«wenn ich nach meinen Kindern und Enkelkindern gefragt werde, an Feiertagen, wenn mich Alltagssituationen an sie erinnern», sagt sie. Bei aller Mutterliebe müsse sie zum Selbstschutz aber auch eine Grenze ziehen: «Ich werde mich nicht weiter mit Fragen quälen, wenn das Gespräch verweigert wird», so die Mutter. Und: Den Entscheid der Kinder werde sie akzeptieren. Sie tausche sich auch offen mit ihren Mitmenschen über ihre Situation aus. Margot Meier sagt: «Meine Wut ist verraucht, ich empfinde aktuell nur Ernüchterung.»