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Was man glaubt

«Seit ich nicht mehr glaube, geht es mir viel besser», sagte mein Freund Edi kürzlich zu mir. «Ich habe keine Gewissensbisse mehr und die Depressionen sind auch weg.» – «Ja, aber?...», wollte ich einwenden, aber es fiel mir gerade nichts Gescheites ein. «Es war wie eine Erleuchtung», sprach Edi weiter. «Als ich realisierte, dass es weder einen Gott noch eine andere höhere Macht gibt, war ich plötzlich erleichtert.» – «Dann war Gott eine Last für dich?» – «Ja, da war immer eine latente Angst, nicht zu genügen, auch unabsichtlich etwas falsch zu machen und dafür bestraft zu werden. Und das ist nun weg.» – «Wow, das mag ich dir gönnen», erwiderte ich, «aber sag mal, wer hat dir denn das eingeimpft, dass Gott so sein soll?» – «Weisst du, so nach zehn Jahren Sonntagsschule hat man das verinnerlicht. Gott war für mich immer so ein Big Brother, der alles sieht, und das hat mich mit der Zeit fertig gemacht. Und heute weiss man ja, dass das

alles nur Einbildung ist.» Was der wohl für eine Sonntagschullehrerin hatte, dachte ich, aber da kam mir Luther in den Sinn. «Vor über 500 Jahren ging es dem Martin Luther genau gleich wie dir. Er hat das von der Kirche auch eingeimpft bekommen, dass man vor Gott nicht genügen kann, egal wie hart man sich anstrengt. Dann hat er entdeckt, dass Gott gnädig ist.» – «Und dann?», fragte Edi. «Dann war er genau so erleichtert wie du. Und hat es vielen erzählt und Bücher geschrieben darüber. Das hat schliesslich die Reformation ausgelöst.» «Ich war auch reformiert», sagte Edi nachdenklich, «aber von gnädig habe ich nicht viel gespürt.» «Bei mir war es genau umgekehrt», sagte ich. «Meine Erleuchtung war: Da ist ein Gott, der mich gern hat. Egal, was die Leute denken. Dann waren meine Depressionen auch weg.» «Ist ja schon bemerkenswert», meinte Edi, «was das bewirkt, ob man etwas glaubt oder nicht?...»

20.06.2024 :: Samuel Burger