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Weiser als mein Hirn

Ich will ja nicht behaupten, ich hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen. Aber ehrlich gesagt: Es fühlt sich so an. Ich glaube, begriffen zu haben, worum es in einem Leben wie dem meinen geht. Ich kann das erklären. Seit einiger Zeit wache ich konstant jeden Morgen mit dem Gedanken auf, wie schön es ist, auf der Welt zu sein – die notabene alles andere als schön ist, wie uns die Medien minütlich zeigen. Kriege, Klimakrise, Krankheiten, Rechtsrutsch, Terrorismus, Verarmung, Femizide, Diskriminierung, von privaten Problemen will ich gar nicht reden, der Planet ist am Arsch! Und ich nicht. Ich bin voller Hoffnung und ungebrochen in meinem Glauben an das Gute im Menschen. Das war bei weitem nicht immer so. Und erst reagierte ich natürlich mit Skepsis auf meine innere Balance und hielt mich für extrem oberflächlich. Für eine Schönrednerin, eine Ignorantin allen Elends, eine Leugnerin des Weltuntergangs. Kurz fürchtete ich, es mit meiner Kerzenmagie und meinen Selbstversuchen in transzendentaler Mediation zu weit getrieben zu haben und eine von denen geworden zu sein, die benebelt durch den Alltag schweben und jede Fähigkeit zum kritischen Denken verloren haben. Und dann fiel mir ein, wann alles begann. Es war in der Woche, in der Putin, kaum hatten wir die Pandemie überstanden, den Angriffskrieg auf die Ukraine vom Zaun brach. Und uns drohte, unser aller Leben zur Not gar noch vor dem Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze in die Luft zu jagen. Es war, als ich las, wie unser Hirn auf diese elende globale Dauerkrisensituation reagiert. Es wechselt bei jeder Horrormeldung in den Überlebensmodus und holt die schrecklichen Geschehnisse gewissermassen in unsere Wohnzimmer. Es will, dass wir in Panik geraten, doomscrollen und nach News suchen, die bestätigen, wie akut bedroht wir sind. Damit wir flüchten oder erstarren. Als ich das las, dümpelte ich gerade auf dem Sofa, zog die Plüschdecke etwas weiter hoch und blickte in Richtung Cheminée-Feuerchen. Ich roch das Abendessen, das jemand für mich zubereitete, und hörte meine Kinder in ihren gemütlichen Zimmern sorglos lachen und mit unverhältnismässig viel Kram spielen. Und ich dachte: So, ich lasse mir mein Bewusstsein für meine Privilegien und meinen eigenen Blick auf die Welt nicht länger nehmen. Ich will das Gute sehen, das Schöne feiern und die Hoffnung wahren, denn nur darauf können wir eine bessere Welt bauen. Ich bin weiser als mein Hirn.

27.06.2024 :: Miriam Margani-Lenz (mml)