«Am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, ist kein Luxus»

«Am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, ist kein Luxus»
Auch manche Fitnesscenter gewähren für Kulturlegi-Nutzerinnen einen Rabatt auf Abos. / Bild: zvg
Kanton Bern: Die Kulturlegi verhilft Menschen mit kleinem Budget zu Rabatten. Neu macht die Region Konolfingen mit. Im Emmental ist das Angebot sonst wenig verbreitet – noch.

Ein Museum, ein Konzert oder einen Sportanlass besuchen, einen Sprach- oder Tanzkurs belegen, in die Massage oder Badi gehen: Das ist für viele Menschen selbstverständlich, doch für jene, die unter oder am Existenzminimum leben, meist zu teuer. Mit dem Ausweis der Kulturlegi werden solche Angebote für sie erschwinglicher. Es werden Rabatte von mindestens 30 Prozent gewährt. Eine Karte bei kulturlegi.ch beantragen können Menschen, die finanziell schlecht gestellt sind und in einer Gemeinde wohnen, welche bei der Kulturlegi mitmacht. Im Kanton Bern ist knapp die Hälfte der Gemeinden dabei: 153 von 335. Seit kurzem gehören auch Konolfingen und die Anschlussgemeinden des Sozialdienstes Region Konolfingen dazu.


Menschen aus der Isolation holen

«Unsere Sozialkommissionsmitglieder sind der Auffassung, dass über Bildung, Kultur und Sport die Lebens­qualität von vulnerablen Personen verbessert werden kann», begründet Ilona Wandel, Leiterin des Sozialdienstes Region Konolfingen, die Teilnahme an der Kulturlegi. Die soziale Integration sei ein wichtiger Faktor, um gesund zu werden oder zu bleiben.

Diese Aussage kann Gonca Kuleli Koru unterschreiben. Sie ist Leiterin der Kulturlegi Kanton Bern. Dank der Kulturlegi gelinge es, Menschen mit geringem Budget aus der Isolation zu holen, ihre Selbstständigkeit zu fördern und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu verbessern. Das erhöhe unter anderem auch die Chance, dass sie sich aus der staatlichen Unterstützung lösen könnten. «Ausserdem sollen alle Einwohnerinnen und Einwohner einer Gemeinde ähnliche Chancen haben, unabhängig vom Budget», betont Gonca Kuleli Koru. Mit solchen Argumenten probiert sie, Gemeinden zu überzeugen. Im Emmental ist der Erfolg bisher mässig. «Hier wollen wir nun einen Schwerpunkt setzen», sagt sie.


Für Gemeinden wurde es günstiger

In Langnau gab es 2019 einen Vorstoss zur Einführung der Kulturlegi, den das Parlament ablehnte. Die Nutzerinnen und Nutzer müssten bis zu 70 Prozent der Angebotskosten selbst tragen, was vielen eine Teilnahme immer noch verunmögliche, lautete der Tenor der Mehrheit. Zudem existierten in Langnau keine Angebote, diese seien vor allem in grösseren Städten zu finden, was Reisekosten nach sich ziehe. Ausserdem kämen zum jährlichen Gemeindebeitrag von 6000 Franken noch die Verbilligungskosten für gemeindeeigene Angebote wie Bibliothek oder Badi hinzu.

Diese Zahlen seien nicht mehr aktuell, betont Gonca Kuleli Koru. Die Gemeindebeiträge seien heute deutlich tiefer. Dies, weil die Kulturlegi praktisch nur noch mit Verbünden wie regionalen Sozialdiensten zusammenarbeite, was den Aufwand reduziere. «Für die neun Gemeinden des Sozialdienstes Oberes Emmental kostet eine Teilnahme insgesamt noch etwa 4700 Franken im Jahr.»

Natürlich seien gewisse Angebote auch mit einer Reduktion von 30 Prozent noch eher teuer. «Aber es hat auch Anbieter, die bis zu 80 Prozent gewähren», gibt Kuleli zu bedenken. Es gebe zudem immer wieder Aktionen für Gratiseintritte. Auch Plätze in Ferienlagern würden verlost, Gutscheine für Velos und Schulsäcke abgegeben. «Solche Angebote stellen eine grosse finanzielle Entlastung gerade für Familien dar», betont Gonca Kuleli Koru. «Und sie sind an keine Region gebunden.»


Angebote auch auf dem Land

Dass es in der Stadt mehr Möglichkeiten als auf dem Land gibt, streitet sie nicht ab. Deshalb zahlten zentrumsnahe Gemeinden höhere Beiträge. Doch auch auf dem Land bestehe ein Angebot, sagt Kuleli. Dieses werde aufgebaut, sobald sich Gemeinden an der Kulturlegi beteiligten. Im Raum Konolfingen etwa hätten sie 54 potenzielle Partner angeschrieben.

Das Ziel von Gonca Kuleli Koru ist es, im Emmental mehr Gemeinden von der Kulturlegi zu überzeugen.  «Wenn Menschen mit kleinem Budget am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, ist das kein unnötiger Luxus, sondern hilft, dass Betroffene nicht ausgeschlossen werden.»

So funktioniert die Kulturlegi

Die Kulturlegi ist ein persönlicher Ausweis, der Rabatte ermöglicht auf rund 4200 Angebote in der ganzen Schweiz in den Bereichen Kultur, Sport, Freizeit, Bildung und Gesundheit. Betrieben wird die Kulturlegi von der Caritas. Dazu berechtigt ist, wer in einer Partner-gemeinde wohnt, eine Unterstützungsleistung erhält (Sozialhilfe, Ergänzungsleistungen, Stipendien, hohe Krankenkassenverbilligung) oder über ein geringes Einkommen verfügt. Der Ausweis ist im ersten Jahr gratis und kostet dann jährlich 20 Franken für eine Einzelperson und 30 Franken für Paare und Familien.

11.07.2024 :: Silvia Wullschläger (sws)