Frei wie ein Vogel

Frei wie ein Vogel
Dank starker Winde kann man mit dem Segelflugzeug auch hohe Alpengipfel erkunden. / Bild: Bruno Zürcher (zue)
«Acheluege» (1/5): Segelfliegen sei die reinste Form des Fliegens, sagt Moriz Urwyler. Er muss es wissen, schliesslich kann er an der Junioren-WM teilnehmen.

Er ist 23-jährig und fliegt wie ein Routinier. «Unter der Wolke dort vorne hat es sicher Aufwind», meint Moriz Urwyler, während wir mit Tempo 120 durch die Luft rauschen und stetig etwas an Höhe verlieren. Und wirklich, dicht unter der Wolke zeigt sich nicht nur an der Anzeige im Cockpit, dass das Segelflugzeug pro Sekunde um zwei bis drei Meter steigt. Es ist auch spürbar. Der insgesamt gut 600 Kilogramm leichte Doppelsitzer wird ganz schön durchgeruckelt.


Spannend und etwas turbulent

Dass heute nicht nur ein ruhiger Flug möglich sein wird, hat Moriz Urwyler schon vor dem Start auf dem Flugplatz bei Thun erklärt. «Das Wetter ist spannend, es hat gute Aufwinde, aber es wird sicher auch etwas turbulent.» Der Pilot aus Oberdiessbach hat sich gründlich vorbereitet: Windkarten studiert, ein Schleppflugzeug organisiert und Informationen zum Flugraum eingeholt. «In Meiringen fliegt heute die Luftwaffe, da dürfen wir ohne Bewilligung nicht durch», erklärt er. «Ich denke, wir starten mal Richtung Gantrisch und fliegen dann ins Berner Oberland.»

Das Schleppflugzeug hat seine liebe Mühe, über den Gantrisch zu fliegen. Vom Segelflugzeug aus ist klar zu erkennen, wie der starke Westwind die einmotorige Maschine stetig abdrängt. Der Pilot des Schleppers meldet sich per Funk: «Ich drehe nach links, dann probieren wirs bei der Nünenen.» Es klappt. Kaum passieren wir den Berggrat, wird der Flug deutlich ruhiger.

«So, wir klinken uns aus», orientiert Moriz Urwyler und der Pilot des Schleppers wünscht «einen guten Flug». In dem Talkessel hat es keine Aufwinde, aber am Rand vermutet der Pilot günstige Bedingungen. Mit sicherem Abstand zur Felswand steuert er das Flugzeug so, dass sich dieses wie in einer Spirale nach oben schraubt. Während wir kreisen wie auf einem Karussell, gewinnen wir rasch an Höhe. Wir befinden uns auf weit über 2000 Meter über Meer und Moriz Urwyler lenkt das Segelflugzeug durchs Simmental. «Wenn wir nun plötzlich nirgends mehr Aufwinde finden würden, könnten wir da unten landen», erklärt er und weist auf das Asphaltband im Talgrund, den Flugplatz Zweisimmen. Keine Angst, eine Notlandung war bei diesem Flug nicht nötig. «Aber man muss immer einen Plan B haben», meint der Pilot, der seit er 17-jährig ist, Segelflugzeuge durch die Luft steuert.


Segelflieger statt Kampfjet

«Es hatte mich sofort gepackt», erinnert sich Moriz Urwyler. Die Flugbegeisterung wurde ihm quasi in die Wiege gelegt, auch seine Eltern sind gerne in der Luft unterwegs. Ursprünglich lautete sein Ziel, Militärpilot zu werden. Dies hat sich inzwischen etwas geändert. Er will das Fliegen zunächst als Hobby betreiben, nach seinem Studium im Bereich Umwelt und Ressourcenmanagement möchte der Oberdiessbacher dann im Cockpit eines Hubschraubers oder eines Linienflugzeugs sitzen.

Nun steuert Moriz Urwyler also ein Segelflugzeug statt einen Kampfjet. Die Saison der Segelflieger dauert meist von März bis September. Durchschnittlich hebt er einmal pro Woche ab. Das Training ist nötig, um zu den besten Piloten des Landes zu gehören. Während man bei vielen Sportarten im Alter von 16 oder 18 Jahren zu den Erwachsenen wechselt, gilt man beim Segelfliegen bis 25 als Junior.

Nun steht der Höhepunkt der Saison an: Moriz Urwyler kann ab 13. Juli an den «13th FAI Junior World Gliding Championships» im polnischen OstrÓw starten. Wie läuft so ein Wettkampf ab? «Es funktioniert ähnlich wie eine Segelregatta», erklärt Urwyler. «Man muss virtuelle Bojen im Luftraum so rasch wie möglich umfliegen.» Ein wichtiger Faktor ist bereits der Start. «Man kann selber entscheiden, wann man losfliegen will sobald die Startlinie geöffnet ist. Erst wenn man diese überquert, tickt die Uhr. Es ist dann wie ein Poker. Nicht zu früh starten, denn als erster zu fliegen, ist ein Nachteil, weil die anderen Piloten sehen, welche Route man wählt und wie die Verhältnisse dort sind.» Ist das Fliegen im flachen Polen anders als im Berner Oberland? «Das Fliegen im Flachen erfordert ein ganz anderes Denken als in den Bergen. Es wird keine Berge haben, welche den Wind gewissermassen lenken.»

Ein gutes Zeichen für Aufwinde seien nebst Wolken zum Beispiel auch Schwalben, erklärt Moriz Urwyler und deutet auf die flinken Flieger, die vielleicht 100 Meter neben dem Segelflugzeug durch die Luft ziehen. «Die Schwalben wollen wie wir mit möglichst wenig Aufwand fliegen. Und starke Aufwinde haben für sie zudem den Vorteil, dass dort viele Insekten in die Höhe gewirbelt werden.» Vögel können auch zur Gefahr werden. «Geier zum Beispiel kreisen stundenlang und blicken stets auf den Boden auf der Suche nach Aas.» Da könnte es schon mal vorkommen, dass sie ein Segelflugzeug nicht bemerken und es zu einer Kollision kommt. Steinadler hingegen, berichtet der Pilot während des Flugs weiter, seien viel aufmerksamer.


Ruhig dahingleiten

Grössere Vögel sind an diesem Nachmittag nur ganz wenige zu sehen. Dafür hat man Gelegenheit, die Landschaft aus der Sicht eines Vogels zu betrachten. Sich von oben zu orientieren, ist gar nicht so einfach. Der 23-jährige Pilot kennt das Berner Oberland wie seine Westentasche. «Der markante Berg hier ist der Wildstrubel.» Den Segelfliegern sind kaum Grenzen gesetzt. «Ich bin auch schon via Wallis nach Frankreich und dann zurück in die Schweiz geflogen», berichtet Urwyler, während wir mit Rücken­wind und Tempi von teils über 200 Richtung Thun rauschen. «Ich zeige dir noch rasch, wo ich daheim bin», meint er vor der Landung und macht eine Zusatzschlaufe über Oberdiessbach und das südwestliche Emmental. Merklich ruhiger gleitet hier das  Flugzeug dahin – ähnliche Bedingungen wohl wie in Polen.

11.07.2024 :: Bruno Zürcher (zue)