Kunst, die für alle zugänglich ist

Kunst, die für alle zugänglich ist
Ausdrucksstark: Menschen, die im «III KLass Wagen» reisen, von Eugen Jordi. / Bild: Christina Burghagen (cbs)
Langnau: Mit einer Vernissage wurde vergangene Woche die Gedenkausstellung an Hans Ulrich Schwaar eröffnet. Sie zeigt, wie vielfältig die Kunst ist, die der Lehrer gesammelt hat.

Ein Mann mit Hut und Zigarillo im Mundwinkel schaut den Betrachtenden direkt in die Augen. Das Gemälde «III Klass Wagen» von Eugen Jordi wirkt greifbar realistisch, als ob man mit in der Eisenbahn sässe. Jordi hielt sich gerne in Zügen auf und nahm die Menschen in sich auf, um sie auf die Leinwand zu bringen. Ein weiteres Werk heisst «Arbeitslose» im gleichen Stil – nicht beschönigt und auch nicht dramatisiert. Doch dies sind nur zwei von insgesamt 117 Bildern von 24 Kunstschaffenden, die derzeit im Tigersaal im Langnauer Eisstadion zu bestaunen sind. Zum Gedenken an den Generalisten Hans Ulrich Schwaar wählte der Förderverein für die Ausstellung ganz unterschiedliche Werke aus, und das war unter insgesamt 2500 Bildern, die Schwaar der Gemeinde Langnau vermacht hatte, kein leichtes Unterfangen. Wer auf Entdeckungsreise durch die Präsentation geht, findet immer wieder andere Stile und Motive, so dass das Sattsehen ausbleibt. Vielmehr bekommt der Besuchende Appetit, mehr Kunst zu geniessen, und das hätte Hans Ulrich Schwaar sicherlich gefallen. Denn er verstand sich als Kunst-Vermittler, der nicht wollte, dass Bilder in Muse­en eingesperrt und nur einem gewissen Publikum zugänglich sind. Er umgab sich mit seinen Kunstschätzen und hing Bilder auch in seinen Klassen­zimmern auf. Im Laufe seines Schaffens entwickelte sich Schwaar zum Kunstexperten, auf den gehört wurde. Manches Bild kaufte er, weil er von den Geldsorgen des Künstlers wusste.


Kunst für alle

Vorstandsmitglied des Fördervereins, Ruth Wullschleger, eröffnete am 18. Juli die Vernissage mit einer warmherzigen wie charmanten Rede. Offen gab sie zu, dass die Auswahl nicht nur nach visuellen Kriterien geschehen sei. «Wir haben vor allem Bilder ausgewählt, die bereits gerahmt waren, sonst wäre für uns die Ausstellung nicht finanzierbar gewesen.» Aber natürlich war es der Kommission auch wichtig, einen Querschnitt – von der Naturdarstellung bis zur abstrakten Kunst – zu zeigen. Auch wurde darauf Wert gelegt, verschiedene Techniken, Skulpturen und Fotografien zu zeigen. Der Dank, so Wullschleger, gelte der SCL Tigers AG, die ihnen den Saal kostenlos zur Verfügung gestellt habe.

Hans Ulrich Schwaar war Lehrer in Trubschachen und Gohl, Sportler, Übersetzer von Charles Ferdinand Ramuz, selbst Schriftsteller und nicht zuletzt Kenner und Freund der Samen. Wichtig war ihm, die Kunst für jeden zugänglich zu machen. Etwas ähnliches plane jetzt die Kulturkommission des Gemeinderats Langnau, ergänzte Ruth Wullschleger. Die Gemeinde sei gerade dabei, eine Artothek aufzubauen. Will heissen: Jeder kann sich für ein Jahr ein Gemälde aus der Sammlung der Gemeinde für kleines Geld mieten. Gemeinderat Martin Lehmann erzählte an der Vernissage, das Projekt sei vermutlich im Dezember spruchreif.


Von heiter bis traurig

Die Gedenkausstellung könnte vielfältiger nicht sein: Zeichnungen aus dem Bauernalltag von Edourad Vallet zeigen sowohl einen «Festtag», als auch einen Bauern mit kleinem Kindersarg unter dem Arm in «Das tote Kind». Impressionistisch mutet das rotblühende Werk «Meinentag» von Werner Gfeller an. Der Fotograf Paul Senn fing in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit seiner Kamera beeindruckend Menschen vom Land ein, etwa die «Taunerfamilie» von 1938: eine Mutter mit zehn Kindern, von denen keines lacht. Das «Flüchtlingskind», einem Gemälde aus dem Jahr 1942 von Clara Mattli, schaut mit hungrigen Augen aus dem Rahmen. Die Zeichnung einer «Katze» von Viktor Surbek ist ebenso genial wie die abstrakten, farbstarken Bilder von Soile Yli Mäyry mit Titeln wie «Brennender Schnee» oder «Traumwind».

25.07.2024 :: Christina Burghagen (cbs)