Der Blick ins Tal und auf den Moléson

Der Blick ins Tal und auf den Moléson
Die Alp La Vatia sei nicht sehr steil und daher für Milchkühe bestens geeignet, erklärt der 77-jährige Chüejer. / Bild: Bettina Haldemann-Bürgi (bhl)
«Acheluege» (5/5): Während des Sommers ist Hans König aus Bigenthal stets auf der Alp hoch über Charmey anzutreffen. Auch mit 77 Jahren stellt er jeden Tag Käse her und geniesst das Leben auf der Alp.

Die Alp La Vatia liegt auf 1106 Meter über Meer oberhalb Charmey. Zu niedrig für eine imposante Aussicht. Trotzdem sind wir überrascht, als wir von Charmey kommend nach zehnminütiger Autofahrt, davon fünf über einen steilen holprigen Feldweg, oben auf der Alp ankommen und ins Tal blicken. Ein breiter Bergrücken neigt sich sanft auf eine Talebene hinunter, wo das Dorf Charmey liegt. Die Terrasse ist eingebettet zwischen zwei Hügelzügen. Dahinter erhebt sich der Berg Moléson, der bekannteste Gipfel des Greyerzerlands. Fast können wir uns nicht von der lieblichen Landschaft losreissen, als von drinnen eine Stimme ertönt, die uns hineinbittet.

Durch die Küche gelangen wir in die Käserei. Hans König (77) ist gerade mit dem Pressen zweier frisch gemachter Greyerzer beschäftigt, während sein Sohn Stefan eines der beiden Kessis putzt. Der Chüejer hebt für uns das Käsetuch, damit wir den frisch gepressten Laib sehen. Später werden wir erfahren, dass Hans König die Alp zusammen mit einem Kollegen 1993 gekauft hat und dass sie viel investieren mussten, unter anderem in eine neue Käserei.


Viel Regen, aber auch viel Milch

Während Vater und Sohn ihre Arbeit fertig verrichten, kommen wir ins Gespräch: «Wie habt ihr diesen verregneten Sommer bis jetzt erlebt?» Der Ältere verwirft die Hände und antwortet mit einem Sprichwort: «Bei nassem Wetter fressen fünf Mäuler mit, das Maul der Kuh und ihre vier Beine, welche die Weide stark beschädigen.» Der Jüngere beschwichtigt. «Dafür ging es den Tieren gut. Die Kühe haben es lieber, wenn es kühl ist», meint Stefan König, welcher den Betrieb vor einigen Jahren übernommen hat. «Das kalte Wetter sorgte zudem dafür, dass das Gras nur langsam wuchs. Daher konnten die Kühe immer junges Gras fressen, was sich positiv auf die Milchproduktion auswirkte.» Er zeigt auf eine Schiefertafel, auf der die beiden notiert haben, wie viel Liter Milch sie jeden Tag verkäsen: 660 Liter für zwei Greyerzer, 140 Liter für zwei Vacherins. «800 Liter pro Tag sind eine gute Leistung», sind sich Vater und Sohn einig. 

Dass die Kühe frisch und munter sind, stellen wir auf einem Rundgang fest. Jede Kuh ist auf den Beinen, senkt den Kopf und ist mit Fressen beschäftigt. Sauber sind nicht nur die Tiere, sondern auch die Weide. Keine Placken, keine Brennnesseln, weder Büsche noch Dornen sind zu sehen. 200 Meter oberhalb der Alp kommen uns Berg und Talboden wie eine grosse Rutschbahn vor, auf die man sich setzen und hinunterfahren könnte. Dort, wo die Terrasse endet, würde man abspringen, die Flügel ausfahren und bis zum Moléson gleiten.
Tatsächlich fliegen in diesem Moment ein paar Gleitschirmflieger über unsere Köpfe. Wir wenden uns wieder dem schönen Bild der weidenden Kühe zu. Ob sie wissen, dass sie Teil einer tagtäglichen Erfolgsgeschichte sind?


Urkunden an der Wand

Mittlerweile ist es unten auf der Alp Zeit für eine Pause geworden. Hans König zeigt beim Hinausgehen auf eine Reihe Medaillen und Urkunden an der Wand. Dieses Jahr hat er an der Käse-Weltmeisterschaft in Brasilien eine Super-Gold-Medaille gewonnen und mit seinem Gruyère d´Alpage AOP den dritten Rang erzielt (die WZ berichtete). «Das hat mich wahnsinnig gefreut», sagt der Älpler und berichtet, dass es die Coopérative war, die ihn ohne sein Wissen angemeldet hatte. Wir setzten uns an den Tisch auf der Veranda und trinken Nescafe Gold mit frischer Milch. Später, nach dem Mittag, wird uns der erfolgreiche Senn noch Meringues mit Doppelrahm offerieren.


Um vier Uhr aufstehen

Der 77-jährige Chüejer, der morgens um 4 Uhr aufsteht und abends um 20 Uhr zu Bett geht, verhehlt nicht, dass es nicht immer einfach gewesen ist. «Als mein Kollege 1998 ausstieg, war es ein Risiko, die Alp alleine zu führen. Ein weiterer einschneidender Moment geschah 2001, als ich merkte, dass der Käser, den ich angestellt hatte, keine Ahnung hatte. Das war ein Schock, ich musste handeln und begann selber zu käsen.» Seither verbringt er die Sommermonate auf der Alp, während seine Frau meist daheim bleibt.

Liegt die Alp nicht viel zu weit vom Heimbetrieb entfernt? «Nein», antwortet Hans König, «für den Weg benötige ich nur Fünfviertelstunden. Ich gehe in Muri auf die Autobahn und in Bulle verlasse sie wieder, die Strecke ist sehr gut fahrbar.» Dann beginnt der glückliche Senn die Vorzüge seiner Alp aufzuzählen: die Zufahrt, das nicht zu stotzige Weideland, die niedrige Höhe, welche es erlaubt, früh aufzufahren, die Grösse (80 Hektaren). Und er schliesst seine Hymne mit einem Lob auf die Aussicht: «Das Offene und der Blick auf den Moléson haben mir von Anfang an gefallen. Ich muss mich nicht auf den Rücken legen, um den Himmel zu sehen.»

08.08.2024 :: Bettina Haldemann-Bürgi (bhl)