Bundesrat Wahlens internationales Engagement

Bundesrat Wahlens internationales Engagement
Wahlen reiste viel. Das Bild zeigt ihn und seine Frau 1961 bei der Ankunft in Amriswil. / Bild: ETH-Bibliothek Zürich
Mirchel: Friedrich Traugott Wahlen ist insbesondere für seine Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg bekannt. Doch der spätere Bundesrat machte sich auch international verdient.

Vor 125 Jahren kam Friedrich Traugott Wahlen in Mirchel zur Welt. Aus diesem Anlass findet am 7. September eine Gedenkfeier für den einzigen Bundesrat aus dem ehemaligen Amt Konolfingen statt (siehe Kasten). An einer Podiumsdiskussion zum Thema Ernährungssicherheit nimmt auch Nationalrätin Christine Badertscher (Grüne) teil. Sie hat sich vor allem mit dem internationalen Wirken von Wahlen auseinandergesetzt.


Frau Badertscher, Sie haben zugesagt, am Podiumsgespräch anlässlich der Wahlen-Gedenkfeier teilzunehmen. Sie würdigen als Grüne einen SVP-Politiker (ehemals BGB).

Ja, und dies tue ich sehr gerne. Friedrich Traugott Wahlen war eine der herausragendsten Schweizer Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Er war ein Mann der tiefsinnigen Überlegungen und grossen Taten. Er war sehr weltoffen und solidarisch, dies sicher auch aus christlicher Über­zeugung heraus. Weniger bekannt ist, dass er sich auch international für Ernährungssicherheit engagierte. Als Agronomin und Aussenpolitikerin interessiert mich dies sehr. Zudem lebte ich nach meiner kaufmännischen Ausbildung längere Zeit in Kamerun.


Was gehört in diesem Zusammenhang zu Wahlens wichtigsten Tätigkeiten?

Die technische Hilfe, also die Beratung in der Landwirtschaft. Die Hilfe zur Selbsthilfe war ihm ein Anliegen und er wollte die Produktion verbessern. Er wollte seine Erfahrungen und sein Wissen aus der Zeit vom «Plan Wahlen» für die ganze Welt zur Verfügung stellen. Sein Erfolgsrezept war der enge Bezug zwischen Wissenschaft und Praxis. Er kannte beides sehr gut.


Wie ist er vorgegangen? Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Er hat Fachleute aus der Schweiz nach Nepal geschickt. Dort haben sie beim Aufbau von Käsereien und bei der Verbesserung der Milchproduktion mitgewirkt. Wahlen war ein Visionär und sogar in der FAO in Rom war noch viel später von der Ära Wahlen die Rede. Die FAO ist ein Wissensnetzwerk, die Hauptaufgabe ist die Beratung der Staaten in Ernährungsfragen. Es ist die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO.


Woher kam sein Wille, sich inter­national so stark zu engagieren?

In den 1950er-Jahren war breit anerkannt, dass die Entwicklungszusammenarbeit eine der grössten Herausforderungen im 20. Jahrhundert sein würde. Die Bekämpfung von Hunger und Armut war Wahlen sehr wichtig und die Ernährungssicherheit war ein sehr grosses Thema. Sein Credo lautete: Für eine bessere Ernährungssicherheit auf der Welt braucht es eine leistungsfähige Landwirtschaft, damit die Produktion gesteigert werden kann.


Die Entwicklungsländer waren ein Dauerthema für ihn?

Ja, er hat in seinen Reden immer wieder vom Elend vieler Menschen auf der Welt erzählt, er hat damit viel für das Verständnis für die Lage der Entwicklungsländer getan. Er hat den Kolonialismus kritisiert und die Überheblichkeit des Westens. Die ungleiche Verteilung des Reichtums auf der Welt war ihm ein Dorn im Auge. Wahlen hatte viel erreicht, es gab aber auch Rückschläge in seinem Engagement. Es gab, wie er selber gesagt hat, eine Zeit des Verleidens.


Aber aufgeben kam für ihn nie in Frage?

Nein, und ansonsten war er ja sehr erfolgreich unterwegs. Nachträglich sagte er zu jener Zeit, in der er sich hinterfragte, alle hätten zu wenig berücksichtigt gehabt, dass im Westen die Entwicklung ja auch viel länger gedauert habe. Das Problem war offenbar, dass man in den Entwicklungsländern plötzlich viel zu schnell vorwärts gehen wollte. Deshalb kam es logischerweise zu Rückschlägen.


Was wissen Sie über seine berufliche Laufbahn, ehe er 1958 zum Bundesrat gewählt wurde?

Friedrich Traugott Wahlen war nach seinem Ingenieur-Agronom-Studium sechs Jahre im Ausland, danach war er Professor für Pflanzenbau an der ETH Zürich und später für die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB), der heutigen SVP, im Ständerat. Gewählt wurde er 1942 übrigens in Zürich. In dieser Zeit war der Plan Wahlen aktuell, den er dann in die Welt hinaustragen konnte. Zur FAO ging er 1950.


Schliesslich wurde er Bundesrat.
Was waren da seine Schwerpunkte?

In der Regierung setzte er sich ebenfalls für eine weltoffene Schweiz ein. Er war für den Vollbeitritt der Schweiz in den Europarat. Das Wichtigste aus meiner Sicht ist aber, dass er 1961 den «Dienst für technische Zusammenarbeit zur finanziellen und technischen Unterstützung der dritten Welt» mitgegründet hat. Das ist die heutige Di­rektion für Entwicklungszusammenarbeit, die DEZA. Er hat sich also auch in dieser Rolle dafür eingesetzt, dass die Schweiz ihre globale Verantwortung wahrnimmt. Das beeindruckt mich sehr: Ein SVP-Mitglied hat die DEZA gegründet! Heute werden diese Gelder gekürzt, was sicher nicht im Sinne von Wahlen wäre. Die globale Verantwortung ist nicht mehr populär
im heutigen Parlament, und das finde ich schade und nicht gut für die Zukunft der Schweiz. Gerade die Friedensförderung ist auch für unsere Sicherheit zentral.


Was von Wahlens Denken und
Wirken sollten wir uns zu Herzen nehmen?

Kurz vor seinem Tod 1985 beklagte er, dass er nicht noch mehr gegen
den Hunger in der Welt habe tun können. Gerade heute ist die Entwicklungszusammenarbeit wieder so wichtig wie in den 1950er- und 1960er-Jahren. Der Hunger hat auf der Welt leider wieder zugenommen. Ich wünsche mir, dass wieder etwas mehr auf Wahlen gehört würde und auf seine Empfehlung, dass eine gemeinsame Mitverantwortung an der Gestaltung der Welt von morgen wichtig ist.

Wahlen-Gedenkfeier am 7. September

Die Gedenkfeier zu Ehren von Friedrich Traugott Wahlen findet am 7. September von 10 Uhr bis 16.30 Uhr im Hotel Appenberg oberhalb von Zäziwil statt. Nebst einer Diskussionsrunde zum Thema «Ernährungssicherheit damals und heute» gibt es verschiedene Referate, unter anderem vom ehemaligen Bundesrat Adolf Ogi. Es handelt sich wegen grosser Nachfrage um eine Zweitveranstaltung. Veranstalter ist die Nachfolgeorganisation des Vereins zur Erinnerung an Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen. Anmeldungen an rudolf.meister@gmx.net oder 077 435 66 36.

Die Wahlen-Gedenkstube im Hotel Appenberg ist dauerhaft zugänglich. Die Besichtigung ist kostenlos, vor dem Besuch ist die Rezeption des Hotels zu kontaktieren.

05.09.2024 :: Remo Reist (rrz)