In Gummen retteten sich Täuferfamilien, indem sie ins angrenzende katholische Luzern flüchteten. / Bild: Bruno Zürcher (zue)
500 Jahre Täufertum (1/2): Die Bewegung der Täufer feiert heuer ihr 500-jähriges Bestehen. Auch im Emmental lebten von Beginn an Menschen dieser Glaubensrichtung.
Wer mit dem Postauto unterwegs ist, fragt sich manchmal: «Bin ich jetzt im Kanton Bern oder Kanton Luzern?» Im luzernischen Marbach fährt man an der grossen, katholischen Kirche vorbei. Im bernischen Schangnau sieht man die reformierte Kirche. Will man der Kantonsgrenze entlang spazieren, realisiert man schnell: Nicht nur in der Gegend von Schangnau, auch in Trub verläuft die Grenze verwirrlich. Vor 500 Jahren waren die Leute fast ausschliesslich zu Fuss unterwegs. Man marschierte den Hügel hoch und auf der anderen Seite runter, nur um wieder auf den nächsten Hügel hochzusteigen. Dem Tal entlang war es felsig und die Emme konnte man bei Hochwasser nicht überqueren. Die Schwindelfreien fanden eine Abkürzung, oft im Wald oder einer Fluh entlang. Unten im Räbloch hörte man das tosende Wasser, in der Nagelfluhwand befand sich die Räblochhöhle. Die Amerikaner nennen diese Höhle die «Yoder-Höhle». Bereits in einem Dokument von 1260 wird dokumentiert, dass auf dem nahegelegenen Jodershubel die Familie Joder ansässig war. Hier hielten angeblich die Yoder-Täufer und Gleichgesinnte ihre Versammlungen im Geheimen ab. Hier konnten sie zu Gott singen, Predigten hören, ohne dass sie jemand hörte. Und sollten die Täuferjäger sie dort suchen – dazu hatten sie in etwas Enfernung ihre Wachen aufgestellt, um die Gläubigen rechtzeitig zu warnen. Über die Naturbrücke im Räbloch war das Versteck von den umliegenden Bauernhöfen aus gut zu erreichen. Aus der Gegend von Schangnau, Eggiwil und Siehen kamen wohl damals die verschiedensten Versammlungsbesucher.
Der Glaube als Wagnis
Das Jahr 2025 erinnert an die Reformation, die vor 500 Jahren begann, in der Christen und Christinnen konsequent bemüht waren, ihr Leben an biblischen Werten auszurichten. Für die Täufer war dies besonders wichtig. Sie wagten, ihre christlichen Überzeugungen zu leben, wenn es sein musste auch kontra zur zeitgenössischen Kultur. Die Lehre des Evangeliums war für sie unverhandelbar - trotz unmenschlicher Strafandrohungen. Schon früher wagten kleine Gruppen von Menschen in den verschiedensten Tälern, sich zum Bibellesen, Gebet und Austausch über Glaube und Leben zu treffen. Sie waren die Stillen im Lande. Der Obrigkeit fielen sie zunächst kaum auf. Erst als die Reformatoren begannen, ihre biblischen Werte in der Gesellschaft zu verbreiten, kam es zu Veränderungen. Die kleinen Gemeinschaften waren nicht bereit, sich von den Regierenden ihren Glauben vorschreiben zu lassen. Obwohl die Bewegung der Täufer eine kleine war, hatte sie zu gewissen Zeiten nicht wenige Sympathisanten. In Sachen Macht und Gewalt waren die geistlichen und die weltlichen Obrigkeiten eng miteinander verbunden. So wurden etwa durch die Taufe in der Kirche die Geburten für den Staat registriert. Die Täufer aber verlangten schon vor 500 Jahren eine Trennung von Staat und Kirche. Die Leute der Stubenversammlungen kannten die Bibel, wollten ihr Leben nach ihr ausrichten, daher leisteten sie weder einen Eid noch Militärdienst. Die Säuglingstaufe war für sie eine Unterwerfung unter Staat und Kirche. Die täuferisch gesinnten Menschen wollten ein noch schnelleres Tempo der Veränderung einschlagen als die Reformatoren - daher entstand keine konstruktive Zusammenarbeit mit ihnen. So wurden noch im Jahr 1811 in Langnau 27 Kinder von Täuferfamilien zwangsgetauft, ähnlich war es in anderen Emmentaler Gemeinden.
Massive Verfolgung
Im Bauernhaus in Hinter Hütten, Gemeinde Trub, befindet sich das einzige noch existierende Täuferversteck, das heute, schön zurechtgemacht, in den Sommermonaten besichtigt werden kann. Es vermittelt auch viele Informationen zur Verfolgung der Täufer durch die Obrigkeit und Kirche. Auch das Schloss Trachselwald zeugt mit seiner Ausstellung «Wege zur Freiheit» von der massiven Verfolgung der Täufer durch die Obrigkeiten – und davon, wie ein Mensch trotz Verfolgung die Freiheit eines lebendigen Glaubens aufrecht erhält. Über viele Generationen mussten sie sich in Wäldern, Höhlen und abgelegenen Bauernhäusern versammeln. Nicht nur die Taufe auf den christlichen Glauben, nein, selbst der Besuch einer Täuferversammlung konnte mit der Todesstrafe geahndet werden. Enteignung, Gefängnis, Verbannung, Galeere, verhungern lassen waren die Massnahmen der Obrigkeit gegen die Täufer.
Glaubenstaufe als Kennzeichen
Eines der Kennzeichen der Täufer war und ist bis heute die Taufe auf den Glauben. Das heisst: Die Taufe folgt auf das persönliche Glaubensbekenntnis «ich möchte mein Leben leben, indem ich Gott diene». Vor Jahrhunderten fiel den Ratsherren in Bern auf, dass von Schangnau bis Kemmeriboden kaum Täufer gemeldet wurden, im Gegensatz zu Trub und Eggiwil, wo sich viele dieser «Ketzer» zu verstecken suchten. Die schriftlichen Befehle von Bern wurden sehr wohl per Reiter nach Schangnau gebracht, blieben aber im Pfarrhaus liegen. Warum das Einige reformierte Pfarrer waren dieser Bewegung gegenüber nicht unbedingt abgeneigt. Erst unter einem neuen Pfarrer änderte sich die Situation zu Gunsten der Obrigkeit. Die Täufer passten sich an, zumindest ein Stück weit. Um den Pfarrer und damit die Herren von Bern an der Nase herumzuführen, besuchte ein Mitglied der Familie ab und zu den Gottesdienst in der Kirche, um zu zeigen, wie treu man untergeben sei. Das nur, um dann am selben Nachmittag oder während der Woche abends die Täuferversammlung zu besuchen. Im Kanton Bern wurden Täuferjäger eingestellt. 1734 waren zwei Täuferjäger in Trub unterwegs, um auf mehreren Höfen Täufer zu fangen und nach Trachselwald zu bringen. Doch die Einheimischen, Täufer und Nicht-Täufer, hatten gelernt, sich zu helfen. Durch menschliches Vogelgezwitscher oder Blasinstrumente warnten sie einander talaufwärts. Unerfreulich wurde es für die Berner Täuferjäger, als sie im Herbst 1726 in Gummen mehrere Täuferfrauen verhaften wollten. Als sie im Gebiet Windbruch ankamen, stellten sich einige Männer vor die Frauen hin und behaupteten - mit Recht - sie seien auf Luzerner Boden. Einer der Freunde hat mit der Haue auf den Boden geschlagen und gebrüllt, es koste, was es wolle, die Jäger müssten die Weiber nicht haben. Die Täuferjäger informierten die bernische Täuferkammer über die widerspenstigen Truber, so musste der Landvogt von Trachselwald die Sache untersuchen. Die Truber aber fanden ihre Hilfe beim Landvogt vom Entlebuch. Dieser reichte bei den Bernern Beschwerde ein wegen Grenzverletzung. Die Berner antworteten, dass die drei Täuferjäger keinen Besitz hätten. Sollten die Entlebucher aber darauf beharren, dass eine territoriale Verletzung stattfand, würden sie bereit sein, die Täuferjäger «am Leib abzustraffen.» Diese Grenzverletzung mündete in einen langen Streit zwischen Bern und Luzern. Schlussendlich kamen die Täuferjäger mit einer Busse davon. Diese Akten über Windbruch und ähnliche Informationen sind im bernischen Staatsarchiv zugänglich. Es ist bekannt, dass sich die Täufer auch andernorts im Emmental für ein paar Stunden oder Tage über die Kantonsgrenze absetzten – wo die harte Hand der Gnädigen Herren von Bern nicht hinreichte. Die katholischen Luzerner waren offenbar nicht abgeneigt, die Pläne der Reformierten zu durchkreuzen und lieferten die Täufer nicht aus.