«Hoher Selbstversorgungsgrad ist wichtig»

«Hoher Selbstversorgungsgrad ist wichtig»
Feldarbeit während der Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg. / Bild: ETH-Bibliothek Zürich
Zäziwil: Was ist an der Anbauschlacht aktuell? Wie sieht eine nachhaltige Versorgungssicherheit künftig aus? Dies diskutierten Fachleute an der Gedenkfeier für Friedrich Traugott Wahlen.

Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen kam vor 125 Jahren in Mirchel zur Welt. Mit seinem Ackeranbauplan war es während des Zweiten Weltkrieges möglich, die Bevölkerung im Land bei fast geschlossenen Grenzen zu ernähren. Durch eine erhöhte Eigenproduktion und eine reduzierte Viehzucht konnte der Selbstversorgungsgrad erhöht werden.

An der Podiumsdiskussion anlässlich der Gedenkfeier nahm Achim Walter teil. Der ETH-Agrar-Professor bestätigte, es sei eine Vernunftleistung von Wahlen gewesen. «Mit Fingerspitzengefühl konnten die Leute überzeugt werden, vermehrt auf die pflanzliche Ernährung zu setzen». Proteinpflanzen würden auch in Zukunft wichtig sein, mit tierischen Produkten verdiene man jedoch mehr. Die Konsumenten müssten die Notwendigkeit sehen, vermehrt pflanzliche Produkte zu wählen, aber die Mehrheit wolle einfach preisgünstig einkaufen, sagte der Professor. Es sei eine Güterabwägung, die überwiegend in Richtung Freizeit- und Konsumgesellschaft gehe, er setze aber Hoffnung in die jungen Leute. Vor einigen Jahrzehnten sei der Fleischkonsum nämlich deutlich niedriger gewesen. In der Politik sei das Bewusstsein vorhanden und es müsse gelingen, die Produktionsrisiken anders zu gestalten. Die Züchtung spiele sich auf dem Feld ab, auch die Forschung müsse unter realen Bedingungen getestet werden können. Achim Walter plädiert für Offenheit, wenn es um neue Züchtungsverfahren geht, «wir müssen etwas wagen». Agronomin und Nationalrätin Christine Badertscher (Grüne), ergänzte, es sei eine riesige Leistung gewesen, in Kürze mehr Kartoffeln und Getreide anzubauen. «Es waren in erster Linie die Frauen gefragt, denn die Männer waren im Militär und auch die Pferde waren nicht verfügbar».


Für den Krisenfall gewappnet sein

Agronom und SVP-Grossrat Hans Schori betonte, man müsse immer eine starke Verteidigungsfähigkeit haben. Ihm sei wichtig, dass der kon­ventionelle Anbau nicht gegen den Bio-Anbau ausgespielt werde. Nicht vergessen dürfe man, dass Dünger und Pflanzenschutzmittel oft aus dem Ausland importiert würden. Im Krisenfall wäre diese plötzlich nicht mehr verfügbar. «Wir leben in einer Wohlstands-Verwahrlosung und müssen – wie damals Wahlen – die Gesellschaft mit Argumenten an Lösungen heranführen.» Mit dem globalen Sicherheitsbestreben und dem Klimawandel müsse man die generelle Auslegung machen – möglichst ohne Vorschriften. Der emeritierte Wirtschaftsprofessor Ernst Wüthrich erwähnte den Methanausstoss der Kühe, deren Wohlfühltemperatur bei 20 Grad liege. «Methan wirkt sich deutlich stärker auf den Treibhauseffekt aus als Kohlendioxid, es ist also erheblich klimaschädlicher als CO2. Es bleibt jahrelang in der Atmosphäre erhalten, trägt zum Treibhauseffekt bei und verstärkt die Erderwärmung». Wobei die Konsumenten wieder zum Zug kämen. Dazu sagte Christine Badertscher: «Foodwaste ist ein Problem; ein Drittel der für die Menschen produzier-ten Nahrung geht auf dem Weg vom Feld bis zum Teller verloren. Und es muss möglichst alles vom Tier gebraucht werden.» Sie habe vernommen, dass zum Beispiel Ragout nur noch schlecht verkauft werden könne.


Schlechter Selbstversorgungsgrad

Ernst Wüthrich wählte drastische Worte: «Langfristig ist ein hoher Selbstversorgungsgrad wichtig. In 20 Jahren haben wir auf der Welt zu wenig Boden». Nur gut die Hälfte des Konsums sind momentan durch die inländische Produktion abgedeckt. Damit steht die Schweiz im interna­tionalen Vergleich schlecht da. Er mahnt, dass während des Zweiten Weltkriegs Schiffe-Lieferungen abgezwackt worden seien, «die Ware ging dann in andere Länder». Bei weltweiter Hungersnot schaue jede Regierung für sich, dann sei der Aufstand nicht mehr weit. Es sei politisch nicht attraktiv, zu entscheiden, was produziert werde. Durch die 90-minütige Diskussion führte Daniel Salzmann, Chefredaktor beim «Schweizer Bauer». Man war sich einig: Die Inlandversorgung ist auf einem schwierigen Stand, gegen den bewussten Fleischkonsum spricht jedoch nichts. Auch zur Zeit des «Plan Wahlen» habe man importieren müssen. Es sei eine Utopie, sich jemals autark versorgen zu können. Anders sieht es etwa in Australien, Frankreich oder den USA aus. Diese Länder haben laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) einen weitaus grösseren Selbstversorgungsgrad und könnten sich auch bei kompletter Abschottung selbst ernähren.

12.09.2024 :: Remo Reist (rrz)