René Schaffer mit dem 2,4 Kilogramm schweren Posthorn. / Bild: Daniel Schweizer (sdl)
Sumiswald: Wer kennt es nicht, das unverwechselbare «Dü-Da-Do» der Postautos. Das Dreiklanghorn wird dieses Jahr 100-jährig und ist längst akustisches Inventar der Schweiz. Es wird im Emmental hergestellt.
Der rote Sekundenzeiger der Bahnhofsuhr steht auf zwölf Uhr. Der Minutenzeiger macht einen Sprung. Jetzt startet der Chauffeur den Motor. Das gelbe Postauto verlässt pünktlich – wie wir es von den hiesigen Transportunternehmen gewohnt sind – den Bahnhof. Nach einer guten Stunde erreicht es den Fuss der Passstrasse und passiert rechterhand ein Verkehrssignal – gelbes Posthorn auf blauem Hintergrund. Der mit Wandervögeln vollbesetzte Bus befindet sich jetzt also auf einer offiziellen, vom Kanton ausgeschilderten Bergpoststrasse. Und ab hier geht die Post ab. Bereits vor der ersten Haarnadelkurve drückt der Chauffeur aufs Fusspedal – und gewaltig erschallt Rossinis Dreiklang aus dem Emmental in der hehren Bergwelt. Denn Postautofreaks wissen, das Klangmotiv stammt aus der Ouvertüre zu Rossinis Oper «Wilhelm Tell», wo Trompeten und Hörner zum kräftigen Dreiklang erschallen. Bei diesem Ohrwurm mit seinen unverwechselbaren, fanfarenartigen Tönen, bekommen nicht nur die kleinen Fahrgäste leuchtende Augen.
Der Dreiklang aus Sumiswald
Einigen der Reisenden dürfte die Herkunft der legendären Schweizer SBB-Bahnhofsuhr – eine Ikone der Zeitmessung im öffentlichen Verkehr – bekannt sein. Seit 1947 wird dieses Zeitmess-System im Emmental entwickelt, bei der Firma Moser-Baer AG in Sumiswald. Dass aber auch die Posthörner, die man vom Hören kennt, aber nie sieht, von der gleichen Firma hergestellt werden, wissen wohl nur die wenigsten. Erfunden vor 100 Jahren, wird es seit gut 75 Jahren in Sumiswald gefertigt. Der Herr des Rossini-Dreiklangs ist René Schaffer. Er ist allein verantwortlich für die Produktion des Horns. Seit sieben Jahren montiert er die 80 Einzelteile zum fertigen Produkt. «Und alle Bestandteile des Horns werden hier vor Ort, oder von Zulieferern im Emmental, produziert – also alles Swiss made», bekräftigt Janos Horak, Leiter Betrieb bei Moser-Baer.
Drei Sekunden Rossini
Der grösste Aufwand, erklärt Schaffer, sei die Herstellung der 0,6 Millimeter dünnen Schallbecher. Sämtliche Arbeitsschritte seien reine Handarbeit. Da sei grosses handwerkliches Geschick gefragt. «Aber das Herzstück», so Schaffer, «ist der Luftmotor. Dieser bewege mit zwei bis drei Bar Druck den Verteiler.» Dieser sorgt dafür, dass die drei Töne nicht gleichzeitig erklingen. Und selbstverständlich ist die Länge der Tonsequenz genaustens definiert. Innert dreier Sekunden müssen die Töne in cis, e und a erklingen. Mit einer Stoppuhr wird das von Schaffer in einem Luftschutzkeller unterhalb der Produktionshallen getestet. «Ausserdem prüfe ich hier unten, bewehrt mit Gehörschutzpropfen und Pamir, auch Lautstärke und Klang des Horns.» Nein, ein Gerät brauche er dafür nicht mehr; er habe das inzwischen im Gehör.
Häufiger Einsatz hält die Hörner im Schuss
«Obwohl eigentlich für die Ewigkeit geschaffen», meint Schaffer, «kommen immer wieder Posthörner zu uns in die Revision.» Grund dafür seien meist ein verdreckter Luftmotor oder defekte Tröten, die sich irgendwo verfangen hätten. Wichtig sei deshalb, die Hörner möglichst oft erklingen zu lassen. Denn die eingeführte Pressluft reinige die Anlage von Schmutzpartikeln. «Wir erhalten alle zwei bis drei Jahre eine Bestellung von Postauto über 40 bis 50 Stück», sagt Janos Horak. Das Posthorn sei natürlich kein Hauptstandbein des Unternehmens, räumt er ein. «Aber wir sind stolz, dieses Stück mit historischem Wert erhalten und weiter bauen zu dürfen.» So freue es ihn immer, wenn Postauto-Chauffeure auf der Vorbeifahrt beim Unternehmen in Sumiswald aufs Pedal drücken und den Rossini erschallen lassen; dies, obwohl hier weit und breit keine Bergpoststrasse auszumachen ist.
Nur auf offiziellen Bergpoststrassen
Denn wohlgemerkt – nicht auf jeder Postautolinie kommt man in den Genuss des Dreiklangs. Gemäss Artikel 82 der Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge darf das «wechseltönige Dreiklanghorn» nur betätigt werden, wenn die Fahrzeuge im Linienverkehr auf offiziellen Bergpoststrassen unterwegs sind. Verantwortlich für die Klassierung einer Bergpoststrasse sind die Kantone. Es muss übrigens nicht gleich die fast neunstündige legendäre Mehrpässefahrt über Grimsel, Nufenen, Gotthard und Susten sein. Denn fast vor unserer Haustür kann man sich den Ohrwurm ebenfalls reinziehen. «Auf dem Abschnitt Emmenmatt?–?Moosegg warnen wir den Gegenverkehr mit dem berühmten Dreiklang», bestätigt Mario Gächter, Präsident der historischen Postautolinie Emmental. «Speziell dafür konnten wir diesen Streckenabschnitt als Bergpoststrasse ausschildern lassen.» Letzte Gelegenheit, auf dieser Strecke in den Genuss des Dreiklangs zu kommen, bietet die Saisonschlussfahrt am 8. November.