Deutsche Wandergesellen unterwegs im Emmental: Niclas Prabel, Conan Müller, Maik Franke und Mathis Schlabbach (von links). Sie reisen in Kluft und mit leichtem Gepäck in jahrhundertealter Tradition. / Bild: Christina Burghagen (cbs)
Emmental: Die rechtschaffenen fremden Gesellen fallen auf. Vier wandernde Zimmerer arbeiten zurzeit in der Region oder waren auf Durchreise. Sie sind jung und lieben ihre uralte Tradition.
Am Dorfbrunnen in Signau füllen drei besondere Gesellen ihre Trinkflaschen auf. Sie sind auffällig schwarzweiss gekleidet. Ihre Kluft ist altertümlich und einer scherzt: «Schütze dich vor Übermut, trage stets einen schwarzen Hut…» Die drei jungen Leute kommen aus Deutschland, auf der Durchreise besuchen sie den 21-jährigen Conan Müller, einen Zimmermann aus Berlin-Moabit, der vor einem halben Jahr seine Wanderschaft begann. Bis Ende Jahr arbeitet er bei der Zimmerei Zurflüh, Zäziwil/Signau, bevor er weiterzieht. Gemäss Firmenmotto packt er «mit Herz und Holz» mit an und kann dort auch wohnen. Sein Chef Reto Zurflüh freut sich über die erste Erfahrung mit einem traditionellen Wandergesellen. Die Zusammenarbeit funktioniere gut und vermittle dem temporären Mitarbeiter auch neue Fachkenntnisse. Die Emmentaler Bauweise unterscheidet sich vom deutschen Fachwerk. An der «Ründi» eines Bauernhauses habe der junge Mann jedenfalls noch nie Hand angelegt, schmunzelt der Geschäftsinhaber.
Mindestens drei Jahre und ein Tag
Der jüngste der Gruppe ist der 19-jährige Mathis Schlabbach. Vor sieben Wochen ist er in Hamburg-Harburg aufgebrochen - mindestens drei Jahre und einen Tag zieht er durch die Welt auf einer selbst gewählten Reiseroute. Solange darf er eine Bannmeile von 50 Kilometern um die Heimat nicht betreten. Die Walz soll fern von Zuhause neue Erfahrungen und Einsichten ermöglichen. Voraussetzungen dafür: nicht verheiratet, kinderlos, jünger als 30-jährig, keine Schulden, ohne Vorstrafen aber mit Gesellenbrief, der bei Mathis den Lehrabschluss als Zimmermann belegt. Weder Nationalität noch Religion spielen eine Rolle. Wandergesellen sind Teil einer uralten Handwerker-Gemeinschaft – in manchen Organisationen sind als Minderheit auch Frauen auf der Walz. Während der Tippelei gelten die vier jungen Männer als «rechtschaffene fremde Gesellen», denn sie gehören zur gleichnamigen Gesellenvereinigung der Holzgewerke. Wer seine Reise abschliesst und sich niederlässt, wird bis zum Lebensende ein «rechtschaffener fremder einheimischer Geselle». Auch der 22-jährige Niclas Prabel aus der Nähe von Rostock in Mecklenburg-Vorpommern ist seit zweieinhalb Monaten unterwegs. Der Tischler schreinert sich auf der Reise durch ständig neue Jobs. Der älteste der Gruppe ist der 28-jährige Maik Franke, seit fünf Jahren auf Wanderschaft. Der Zimmermann aus Wuppertal hat das hölzerne Handwerk schon vielerorts ausgeübt: Fachwerkhäuser in Deutschland, Holzkonstrukte in Jamaika oder Bauten in Australien waren seine Arbeitsplätze. In der Luftfeuchtigkeit von Thailand begann seine Kluft zu schimmeln, deshalb trug er dort ein langes, weisses Hemd. Als nächstes Ziel visiert er Namibia. Völkerverständigung ist für die wandernden Gesellen wichtig. Sie gehören auch alle einer Gewerkschaft an. Kein Wunder, denn historisch bildeten die Gesellenvereinigungen einst die Anfänge der Arbeiterbewegung.
Ohne Handy, aber mit Krug und Klatsch
Im Moment unterstützt Maik Franke seine jungen Kollegen beim «Losgehen». Nach der Abschiedsfeier daheim beginnt für sie das Leben auf der Strasse. Der Entscheid fürs Gesellenleben ist wie die Wahl einer Familie, die sich gegenseitig unterstützt. Die vier jungen Männer kannten sich vorher nicht, aber wirken wie Brüder. Es gibt keine Hierarchie, alle sind gleichgestellt, ihre Gesellschaft ist generationenübergreifend. Der erfahrene Franke zeigt allerdings seinen Kollegen, wie die Tippelei funktioniert. Wo finde ich einen Schlafplatz? Wie spreche ich bei einem möglichen Arbeitgeber vor? Was gehört zum Respekt und zur Zurückhaltung, wenn ich als Fremder irgendwo zu Gast bin? Maik Franke gibt auch Tipps, zum Beispiel für den Weg zum nächsten «Krug», wie die Treffpunkte heissen, wo sich Gesellen treffen und Informationen austauschen. Oft sind es Gasthäuser mit Schlafplätzen. Vom Emmental aus befinden sich die nächsten Krüge in Murten und Luzern. Solche Fixpunkte hat jeder Geselle auf einer laminierten Landkarte verzeichnet. Keiner hat Google-Maps, GPS oder Social Media. Mobile Telefone gehören nicht zum leichten Gepäck. Da wird nur mal vom Arbeitsplatz aus jemand angerufen, ein E-Mail abgerufen oder das Firmenauto des Chefs ausgeliehen. Im minimalen Reisebündel steckt irgendwo aber ein Liederbüchlein mit Texten, Sprüchen und «Klatsch» – das sind Reime, die zu zweit oder dritt geschallert werden, wie der laute Sprechgesang heisst. Dazu wird rhythmisch in die Hände geklatscht, in die eigenen und jene vis-à-vis. Das sei einst entstanden, um sich in der Kälte aufzuwärmen, erklärt Franke. Um mehr über ihre Reise zu erzählen, sitzen die vier rechtschaffenen Gesellen eines Abends bei einem Znacht mit am Tisch. Am Schluss packen sie ihre Bündel, Maik Franke klopft mit dem Stenz auf den Boden, bedankt sich mit einem Abschiedsgruss in Reimen und wünscht alles Gute «bei Tag und auch bei Nacht». Die fremden Gesellen sind uns mittlerweile nicht mehr so fremd. Ich verabschiede mich standesgemäss: «Fixe Tippelei!»