Das Burnout kommt schleichend

Das Burnout kommt schleichend
Wenn man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht, sollte man sich Hilfe holen. / Bild: Rebekka Schüpbach (srz)
Langnau: Nicht ausbrennen! Dies ist das Motto des heutigen Bäreggforums. Ein Thema, das in der Landwirtschaft, aber auch ausserhalb, bekannt ist. Was also kann man dagegen tun?

«Ein Burnout ist wie das langsame Abbrennen einer Kerze», erklärt Timur Steffen, Leiter von Stepped Care des Psychiatriezentrums Münsingen (PZM). Ein Prozess, bei dem die eigene Energie stetig abnehme, gleichzeitig jedoch zu wenig neue aufgetankt werde. «Es passiert, wenn die Warn­signale des Körpers zu wenig beachtet und die eigenen Ressourcen verschlissen werden.» Warnsignale können unter anderem Schlaflosigkeit, weniger bis keine Freude mehr an der Arbeit, keine Motivation überhaupt aufzustehen oder auch Schmerzen sein. Die Symptome sind ähnlich wie bei einer Depression. Nur, dass Letzteres unter Umständen ohne erkennbaren Auslöser auftauchen kann.


Probleme rechtzeitig angehen

Ob man eher gefährdet dafür ist, ein Burnout zu erleiden, hängt nicht zuletzt von der eigenen Persönlichkeit und den gesellschaftlichen und familiären Werten ab. In der Landwirtschaft werde auf den meisten Betrieben an sieben Tagen pro Woche gearbeitet, weiss Timur Steffen: «Im Bild vom klassischen Landwirt oder der Landwirtin gibt es selten ein «Ich bin müde, ich hätte noch andere Träume oder ich mag heute nicht aufstehen.» Die Arbeit müsse sowieso gemacht werden. Gleichzeitig sei es auf dem Land weniger üblich, sich bei Problemen Hilfe zu holen. Nach dem Motto: «Es geit de scho». Probleme rechtzeitig anzugehen sei jedoch von Vorteil, damit die mentale Gesundheit nicht in einer Krise münde, betont Steffen. Ihm ist es deshalb wichtig, der Psychiatrie ein Gesicht zu geben und einen einfachen Zugang zu ermöglichen. «Wenn die Leute an Veranstaltungen, wie dem Bäreggforum sehen, dass ‹dä da vore› eigentlich noch ganz in Ordnung ist, haben sie hoffentlich weniger Hemmungen sich zu melden.» Melden kann man sich zum Beispiel bei Stepped care, einem ambulanten Angebot des PZM. Weitere Angebote sind das Bäuerliche Sorgentelefon oder – bei praktischen Fragen - das Inforama.


Pausen sind wichtig

Am diesjährigen Bäreggforum werden in einer Podiumsdiskussion Betroffene aus der Landwirtschaft zu Wort kommen, die ein Burnout hinter sich haben. Sie können in Zukunft als sogenannte Peers eine Rolle spielen. Peers sind Berufskollegen oder -kolleginnen, die gerne als Ansprechperson für andere Betroffene zur Verfügung stehen. Ein diesbezügliches Forschungsprojekt aus der Ostschweiz habe gezeigt, dass dies hilfreich sein könne. Timur Steffen möchte mit seiner Teilnahme am Forum dazu beitragen, dass bestehende Hilfsangebote auch im Kanton Bern bekannter werden. Natürlich hat der Psychologe auch Tipps, wie man dem Ausbrennen vorbeugen kann: Das eigene Zeitmanagement überarbeiten, soziale Kontakte pflegen und vor allem genügend Pausen einplanen.

Betroffene müssen selbst aktiv werden

Markus von Gunten, Mitorganisator vom Bäreggforum, arbeitet beim Inforama unter anderem als Berater und Coach. Zu ihm kommen Bauern und Bäuerinnen mit Themen wie Hofübergaben, Generationsproblemen, Pachtverträgen und vielen anderen. Unter seinen Kunden sind auch Leute, denen die Arbeit buchstäblich über den Kopf wächst. «Bei meiner Arbeit stelle ich in den letzten Jahren eine Zunahme von angeschlagener psychischer Gesundheit in der Landwirtschaft fest», sagt er. Oft kämen Betroffene jedoch erst in die Beratung, wenn ein Tropfen das volle Fass schon zum Überlaufen gebracht habe. Ein nasser Sommer und eine schlechte Ernte etwa seien verkraftbar. Aber nicht, wenn noch viele zusätzliche Probleme zu bewältigen seien. Wie schleichend ein Burnout kommen kann, beschreibt er so: Ein Bauer möchte nicht in eine finanzielle Schieflage geraten und nimmt deshalb eine zusätzliche Stelle an. Das bedeutet nicht nur viel Arbeit, sondern auch kaum Freizeit. Dennoch ist dies für ihn jahrelang kein Problem. Doch ab vierzig lässt seine körperliche Fitness langsam nach, das Arbeitspensum jedoch bleibt bestehen. Er muss also immer länger arbeiten, um alles zu erledigen. Gleichzeitig werden die Kinder flügge, die bis jetzt mitgeholfen hatten. Spätestens jetzt müsste er über die Bücher. Macht er es nicht, ist seine Energie früher oder später aufgebraucht.


Umgang mit der psychischen Erkrankung

Der erwähnte Bauer ist zwar nur ein fiktives Beispiel. Aber was ist, wenn meine Nach-barin oder ein Familienmitglied ähnlich gefährdet sind, auszubrennen? Sie oder ihn darauf anzusprechen, ist heikel und kann schnell persönlich genommen werden. «Ich finde, du bist am Morgen nicht mehr so ausgeruht» oder «du reagierst häufig

so angespannt, aber vielleicht täusche ich mich ja», könnten Einstiegssätze sein, schlägt Markus von Gunten vor. Doch aktiv werden, muss schlussendlich der oder die Betroffene selbst. Auch hier hilft es, wenn man unter sich ist. Zum Beispiel im Rahmen eines Arbeitskreises, wo sich Landwirtinnen und Landwirte regelmässig über bestimmte Themen austauschen. «Manchmal kommt es vor, dass sich jemand öffnet und dann merkt, dass es anderen auch so geht.» Das Thema zum diesjährigen Forum war deshalb schnell klar, erzählt der Berater: «Jeder kennt jemanden, der vom Ausbrennen betroffen ist.»

28.11.2024 :: Rebekka Schüpbach (srz)