Noch steckt sie im Tagesgeschäft, doch die Zügelkisten stehen bereit: Ende Jahr tritt Regierungsstatthalterin Claudia Rindlisbacher ab. / Bild: Regine Gerber (reg)
Emmental: Ende Jahr tritt Claudia Rindlisbacher ab. Vorher blickt die Regierungsstatthalterin zurück: auf die schönen Seiten des Amtes und Ereignisse, die ihr unter die Haut gingen.
Frau Rindlisbacher, welches Gefühl wird überwiegen, wenn Sie am 31. Dezember Ihr Büro das letzte Mal verlassen? Freude oder Wehmut?
Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wie man so schön sagt. Die Arbeit hatte viele schöne Seiten und ich identifizierte mich stark mit dem Amt. Es hat aber auch Schwieriges beinhaltet. Noch fühlt sich der Abschied weit weg an, ich stecke nach wie vor im Tagesgeschäft. Wenn es brennt, rücke ich bis am Schluss aus.
Sie waren acht Jahre Regierungs-statthalterin im Emmental. Was hat diese Tätigkeit für Sie ausgemacht?
Das Schöne war die Abwechslung. Als Regierungstatthalterin hatte ich es mit einer riesigen Bandbreite an Themen zu tun. Auch der Kontakt mit den unterschiedlichen Menschen war mir immer wichtig und diesen habe ich sehr geschützt.
Was hat Sie als Regierungs-statthalterin ausgezeichnet?
Ich wollte präsent und erreichbar für die Menschen sein. Mein Ziel war es immer, pragmatische und dienstleistungsorientierte Lösungen zu suchen. Als Juristin legte ich auch grossen Wert darauf, dass diese Lösungen rechtlich Überzeugen. Ich schöpfte zwar meinen Ermessensspielraum aus, drückte aber bei gesetzlichen Vorgaben kein Auge zu.
Was werden Sie nicht vermissen?
Die Anspannung, der Stress, die Verantwortung. Man ist während 365 Tage im Jahr auf Pikett. Regierungsstatthalterin ist man zu 100 Prozent, wenn nicht gar zu 150.
Wie konnten Sie mit dieser Belastung umgehen?
Wenn alles in gewohnten Bahnen lief, ging es gut. Aber es gab auch schwierige Momente. Wenn ich zu Katastrophen ausrücken musste, juristisch sehr komplexe Geschäfte hatte, oder solche, hinter denen emotionale Schicksale standen, war es für mich schwierig abzuschalten. Diese Belastung ist nicht zu unterschützen. Gleichzeitig hatte ich immer unglaublich gute und selbstständige Mitarbeitende, die mich sehr unterstützten.
Welche Ereignisse gingen Ihnen unter die Haut?
Die Unwetter im Schangnau. Die Schäden, die dort entstanden sind, machten mich betroffen. Gleichzeitig war es beeindruckend zu sehen, dass das Zusammenspiel der Beteiligten
so gut funktionierte und dass die Bevölkerung zusammenstand. Auch die Pandemie war eine herausfordernde, aber auch spannende Zeit. Wir waren vor allem mit den Fragen rund um das Gastgewerbe beschäftigt.
Was hat sich während Ihrer Amtszeit verändert?
Vieles ist komplexer geworden. Und auch die Ansprüche der Leute sind gewachsen. Heute fühlen sich viele als Spezialisten in ihren Angelegenheiten. Die Leute wollen mehr mitreden. Für uns heisst das: Wir müssen Entscheide immer besser verständlich machen können.
Welche Themen kamen hinzu?
Im IT-Bereich und der Digitalisierung mussten wir grosse Schritte bewältigen. Damit sind viele Geschäfte verbunden, die man von aussen nicht wahrnimmt. Ich war etwa leitende Regierungsstatthalterin bei der Einführung eines neuen Geschäftsführungsprogramms für alle Berner Verwaltungskreise. Und es kamen verschiedene Verantwortlichkeiten hinzu, zu denen wir erst eine Praxis entwickeln mussten: Von Bewilligungen im Prostitutionsgewerbe über den Vollzug von Mieterausweisungen bis zur Regelung von Mehrweggeschirr an Veranstaltungen.
Die Bauabteilung Ihres Regierungsstatthalteramts war zeitweise stark überlastet. Können Sie diesen Bereich guten Gewissens ihrer Nachfolgerin übergeben?
Ja, wir sind dabei auf einem guten Weg. Da die Gründe für die Überlastung so vielfältig waren, sind aber auch die Lösungen nicht einfach. Es gab in den letzten Jahren eine massive Zunahme an Geschäften, die auch komplexer geworden sind. Wir haben auch viel mehr Einsprachen und involvierte Anwälte als früher. Und das elektronische Baubewilligungsverfahren hat es aus unserer Sicht nicht leichter gemacht. Wir haben fortlaufend an unserer internen Organisation und Effizienz gearbeitet.
Als Regierungsstatthalterin waren Sie Bindeglied zwischen Kanton und Gemeinden. Wo fühlten Sie sich näher?
Es ist ein Spannungsfeld, in dem man sich bewegt. Laut Gesetz vertrat ich den Regierungsrat im Verwaltungskreis. Angewiesen war ich aber vor allem auf die gute Zusammenarbeit mit den Gemeinden. Und gewählt bin ich vom Volk. Als Beispiel die Asylunterkunft Sumiswald: Ich hatte den Auftrag vom Kanton Flüchtlingsunterkünfte zu finden. Das ging nicht ohne eine Gemeinde, die mithilft und die Bevölkerung, die Verständnis zeigt. Dies führte mitunter zu schwierigen Situationen.
Bisher haben Sie sich noch nicht zu Ihren Zukunftsplänen geäussert.
Mein einziger Plan ist, momentan keinen Plan zu machen. Für mich ist die Zeit gekommen, einen Zwischenstopp einzulegen, um zu überlegen, was ich in Zukunft will. Als Statthalterin hatte ich keinen Raum für solche Überlegungen.
Welche Reaktionen haben Sie auf Ihre Demission erlebt?
Ganz unterschiedliche. Unverständnis, dass ich das Amt aufgebe oder die Frage, was danach noch kommen könne. Denn früher war klar: Wenn möglich, bleibt man Statthalterin bis zur Pension. Aber man sagte mir auch, dass es eine mutige Entscheidung sei. Und der Rücktritt hat für mich in der Tat Mut gebraucht.
Was werden Sie in Ihren ersten freien Tagen tun?
Ich freue mich darauf, am Morgen aufzustehen und zu überlegen: Worauf habe ich heute Lust? Und darauf, einfach mal wieder ein Buch lesen zu können.