Alte Verbindung, neue Freundschaft

Alte Verbindung, neue Freundschaft
Argentinischschweizerische Freundschaft: Silvio Bode Amrein, Vittoria Weiss Ackerley, Gemeindepräsidentin von Helvecia, und Beat Fuhrer (von links) unterzeichnen die Vereinbarung. Zwei Bürger sind als Zeugen dabei. / Bild: zvg
Trubschachen: Ein zwielichtiger Uhrenfabrikant aus Trubschachen wanderte 1860 in den Norden Argentiniens aus. Dort gründete er die zwei Städte Helvecia und Romang. Nun - über 160 Jahre später - wurden diese zu Partnergemeinden von Trubschachen.

Sie heissen Gfeller, Baumgartner oder Ram­seyer. Sie mögen Ländlermusik und feiern Anfang August den Schweizer Nationalfeiertag. Und sie leben in Argentinien. Nicht wenige der Einwohnerinnen und Einwohner von Romang und Helvecia, zwei Kleinstädte in der Provinz Santa Fé, sind eng mit der Schweiz verbunden. Der Grund: In den beiden schachbrettartig angelegenen Ortschaften mit je rund 10´000 Einwohnern haben viele Schweizer Vorfahren. Der Grün­der war Peter Wingeier alias Teófilo Romang, er stammte aus Trubschachen (siehe Kasten). Argentinien war im 19. Jahrhundert ein beliebtes Auswanderungsland für Schwei­zerinnen und Schweizer. Es lockte mit grossen, unerschlossenen Landflächen und günstigen Bedingungen. Die Emigration wurde vielfach auch von Schweizer Gemeinden unterstützt, die froh waren, wenn sie nicht mehr für ihre armen Bürger sorgen mussten.


Bis heute mit der Schweiz verbunden

In Helvecia und Romang sind bis heute viele Spuren zu finden, die auf die Schweizer Siedler hinweisen. Es gibt Strassen, die nach Schweizern benannt sind, und es finden immer wieder folkloristische Festivitäten statt. Das Verbundenheitsgefühl zur Heimat der Vorfahren sei bei vielen noch vorhanden, erzählt Silvio Bode Amrein, der Präsident der «Asociación Suiza de la Costa», einem Schweizerverein in der Region. Auch die Geschichte des Stadtgründers aus der Schweiz kenne man bis heute, nicht zuletzt wegen der Denkmäler, die in beiden Orten zu seinen Ehren stehen. Dass sich Silvio Bode Amrein im Schweizerverein engagiert, kommt nicht von ungefähr: «Meine Vorfahren stammten aus Luzern, heute noch leben Verwandte von mir in Zürich.» Momentan ist der Argentinier auf Besuch in der Schweiz. «Ich freue mich, dass es kalt ist und ich mag den Schnee», sagt er und fügt seufzend an: «Zu Hause ist es aktuell über 40 Grad. Wir leiden unter der Hitze.» Während zwei Wochen wohnt Silvio Bode Amrein bei Beat Fuhrer, dem Ende Jahr abgetretenen Gemeindepräsidenten von Trubschachen. In dieser Funktion, aber privat finanziert, reiste Fuhrer mit seiner Frau letzten Oktober nach Argentinien, um mit den drei Städten Romang, Helvecia und Cayasta Freundschaftsverträge zu unterzeichnen.


Gemeindepartnerschaft begründet

Die Initiative zur Gemeindepartnerschaft ging von Silvio Bode Amrein aus. Sein Verein ist aktiv, will das Schweizer Erbe pflegen und kümmert sich um die Beziehungen in die alte Heimat. Im Jahr 2020 meldete er sich bei der Gemeinde Trubschachen. «Mich interessierte, wie der Heimatort unseres Stadtgründers aussieht», sagt der Englischlehrer. Und er habe gehofft, dass sich ein Austausch ergebe. Beim damaligen Gemeindepräsidenten Beat Fuhrer stiess das Anliegen auf offene Ohren. Schliesslich pflegte Trubschachen auch bereits mit anderen Ortschaften partnerschaftliche Beziehungen, so mit Midway, einer Gemeinde im US-Bundesstaat Utah, und mit dem tschechischen Strmilov. Nach einem ersten Gedankenaustausch per E-Mail besuchte Silvio Bode Amrein während einer Schweizreise erstmals Trubschachen. «Gemeinsam entwickelten wir Ideen, wie wir die Verbindung zwischen unseren Gemeinden aufbauen können», sagt Beat Fuhrer. Das Ergebnis: Die später in Argentinien begründete Gemeindepartnerschaft. Wenn Beat Fuhrer von seiner Reise nach Argentinien erzählt, kommt er ins Schwärmen. «Es war ein fantastisches Erlebnis!» Er sei herzlich empfangen worden. Im Rahmen der Zeremonien und des Festes anlässlich der Gemeindepartnerschaft habe er viele berührende Begegnungen gehabt. Die Menschen seien offen und freundlich. Und: «Viele erzählten mir von ihren Schweizer Wurzeln.» Ein Mann zeigte ihm etwa das Dienstbüchlein seines Schweizer Grossvaters. Fuhrer beeindruckte auch die durch den grossen Fluss Paraná geprägte Natur sowie die Landwirtschaft, die für die gesamte Provinz wichtig sei. Die entstandene Beziehung zwischen den Gemeinden soll nun weiter gepflegt werden. «Es wird sich zeigen mit welchen Aktivitäten», sagt Fuhrer. Aufgrund der grossen Distanz seien keine regelmässigen gegenseitige Besuche der Behörden möglich, wie das etwa mit der tschechischen Partnergemeinde stattfinde. Fuhrer stellt sich aber vor, dass sich zum Beispiel E-Mail-Kontakte zwischen Personen, Vereinen oder Gewerbebetrieben vermitteln liessen - und so fortgesetzt würde, was vor über 160 Jahren mit Peter Wingeier aus Trubschachen begann.

Auswanderer, Hochstapler, Stadtgründer

Teófilo Romang, Schweizer Auswanderer, gründete 1865 im Norden Argentiniens die Siedlung Helvecia. Doch eigentlich war er ein anderer, als er vorgab zu sein. Ursprünglich hiess er Peter Wingeier und stammte aus dem Emmental. In Trubschachen war er Notar gewesen und hatte eine Uhrenfabrik betrieben. Als dieser der Konkurs drohte, plünderte Wingeier die Mündelkasse. Er wurde ertappt und vor Gericht verurteilt. Nachdem ihn seine Frau durch Zahlung einer Kaution aus der Haft befreit hatte, setzte er sich nach Argentinien ab. Seine Frau und Kinder liess er zurück. In der Schweiz ein Krimineller, in Argentinien ein geachteter Stadtgründer: Dieser Stoff ist historisch verbürgt und Pedro Lenz hat die Geschichte in seinem 2013 erschienen Buch «I bi meh aus eine» literarisch bearbeitet. Im Buch wird angedeutet, dass Wingeier auf der Überfahrt nach Amerika den Langnauer Mediziner Theophil Romang ermordet habe, um an dessen Identität zu gelangen. «Historische Fakten weisen darauf hin, dass diese Episode der Geschichte nicht stimmt», sagt Beat Fuhrer. Wahrscheinlich sei Wingeier auf andere Weise an die neue Identität samt Doktortitel gekommen. Ungeachtet der Vorgeschichte sei der Auswanderer in Argentinien ein erfolgreicher und beliebter Arzt gewesen. Dies mag erstaunen, verfügte Wingeier doch über keine medizinische Vorkenntnisse. Pedro Lenz lässt Teófilo Romang im Buch sagen: «Weisch, wenn du plötzlech und unverhofft vom Uhrefabrikant zum Dokter wirsch, de muesch nid aus Erschts grad Medizin wöue studiere, nei, de muesch aus Erschts grad lehre, wi sech e Dokter verhautet.» Peter Wingeier schrieb in die Heimat von den Möglichkeiten in Argentinien und überzeugte weitere Emmentaler, in der Region Farmen und Orte aufzubauen. Er selbst gründete einige Jahre nach Helvecia eine zweite Stadt: Romang. Später zahlte er seine Schulden Trubschachen zurück.

30.01.2025 :: Regine Gerber (reg)