Ich sehe es heute noch vor mir – ein daumengrosses Nilpferd aus Plastik mit dazugehörigem Stall. Im Alter von sechs Jahren hatte ich Geld gespart, um mir dieses niedliche Tier in unserem Dorfladen zu kaufen. Stolz trug ich Hermann nach Hause und hatte ein paar Tage viel Freude daran. Dann war er plötzlich weg. Ich suchte überall, doch Hermann blieb verschwunden, bis ich ein Gespräch meiner älteren Schwester mit ihrem Verehrer mitbekam. Ob er das Tierchen auch gut behandle, wollte sie wissen. Dann säuselten sie Dinge, die Verliebte eben so säuseln. Meine Schwester hatte also mein Nilpferd als eine Art Liebespfand verschenkt. Ich bekam einen stattlichen Tobsuchtsanfall – das konnte ich gut. Doch Entschuldigung und Hermann blieben aus. Die Geschichte fiel mir wieder ein, als ich kürzlich mit meiner Nichte telefonierte. Sie hatte die Aufgabe, im Team ein Konzept zu erstellen und später zu präsentieren. Wie man das so in Teams kennt, lehnten sich Dreiviertel der Beteiligten zurück, während sich meine Nichte ins Zeug legte. Um ihr Urheberrecht sicherzustellen, zeigte sie ihre schriftlichen Ausführungen auch dem Chef. Die so aufgescheuchten Kollegen suchten nun ihrerseits das Gespräch mit dem Vorgesetzten und taten bei der Präsentation vor dem Kollegium so, als sei das Ganze eine Gemeinschaftsarbeit. Einen stattlichen Tobsuchtsanfall – das kann ich gut – bekam ich auch, als ich vor Jahren eine angesagte Band fotografiert hatte (Right said Fred, falls die noch jemand kennt). Meine Kollegin X eilte mit den Fotos durch den Verlag und klärte die beeindruckten Kollegen nicht auf, von wem die Fotos stammten. Ich erfuhr davon, als mir jemand vorschwärmte, was Kollegin X für tolle Bilder geschossen hätte. Warum, zur Hölle, gibt es Menschen, die es nötig haben, sich mit fremden Federn zu schmücken? Ist das ein Ur-Instinkt aus der Steinzeit? Wenn ich dem Nachbarn die Mammutkeule klaue, muss ich selbst nicht zur Jagd? Warum macht es so wütend, wenn andere uns etwas wegnehmen, um selbst zu glänzen? Sein Eigentum zu verteidigen, geistiges oder materielles, ist nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern ein ausgewiesenes Menschenrecht. Warum gibt es dann Plagiate im grossen Stil, zum Beispiel bei gigantischen chinesischen Versandhändlern? Passen Sie auf, wenn die Uhr Rollex heisst und im schicken Blazer Schanell steht. Doch wie mit Menschen umzugehen ist, die zu ihrem Vorteil anderen die Federn ausrupfen, weiss ich auch nicht.